Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
bereits heraufgezogen und in dem kleinen Boot verstaut, das am Ufer ihrer winzigen Insel lag.
Drüben auf der anderen Seite wartete mit erhobener Fackel der gestrenge Meister Olmar, seines Zeichens Oberster Hüter und Pfleger des Cambrischen Gartens. »Na, hast du alles?«, fragte sie leise. Marina schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Irgendetwas ist da unten noch verborgen. Das sagt mir mein Gefühl. Aber ich bin noch nicht dahintergekommen, was es sein könnte.«
»Das werden wir schon noch rauskriegen – mit so vielen Leuten.«
Marina blickte auf. »So vielen Leuten?«
»Ja. Die ganzen Novizen, Adepten und Magister im Ordenshaus.
Sie sind alle versessen darauf, uns zu helfen…«
Marina stutzte, nickte dann aber. Sie wusste, worauf Azrani hinaus wollte. Sie standen in dem Ruf, nur dem eigenen Geschlecht zugetan zu sein, und wussten selbst nicht, ob das der Wahrheit entsprach. Tatsache war, dass sie seit dem Zeitpunkt, da sie aus Savalgor geflohen waren, sich mit keinem Mann mehr abgegeben hatten, und das mit gutem Grund. Es waren nicht nur die Erlebnisse in Guldors Hurenhaus gewesen, die sie gewissermaßen in die Flucht vor den Männern getrieben hatten, sondern auch noch das Verhalten dieser drei Kerle, die sie damals aus Savalgor geschleust hatten. Wären sie nicht zu zweit gewesen und die Kerle nicht sturzbetrunken über ihre eigenen Füße gestolpert, wäre es womöglich zu einer Gewalttat gekommen. Sie hatten sich mit viel Glück zur Wehr setzen und fliehen können und waren heilfroh gewesen, danach nur noch mit sich selbst zu tun zu haben. Für Monate hatten sie in ihrem versteckten Wald nicht einmal einen Mann zu Gesicht bekommen. Allem Unheil zum Trotz stellte sich die Frage, ob deswegen alle Männer so waren und ob sie wirklich nur sich selbst trauen durften.
»Vielleicht sollten wir es mal drauf ankommen lassen?«, schlug Marina flüsternd vor. Azranis Blick war wenig überzeugt. Sie seufzte nur, antwortete aber nicht.
Gemeinsam luden sie den Rest ihrer Sachen in das winzige Boot, stießen es ins Wasser und sprangen schnell hinterher. Meister Olmar, der seit dem Zeitpunkt, da sie in sein geheiligtes Refugium eingedrungen waren, alles genau beobachtet hatte, zog mit finsterer Miene unwirsch die Leine an und holte sie nach drüben.
Er schien es gar nicht mehr abwarten zu können, die Störenfriede aus seinem geheiligten Garten hinauszubekommen. Die beiden schenkten ihm ihr süßestes Lächeln, jedoch ohne wahrnehmbaren Erfolg. »Seid ihr jetzt endlich fertig?«, fragte er barsch, als sie, auf der anderen Seite angekommen, das Boot verließen. »Möglich, dass wir noch einmal hinübersetzen müssen, Meister«, sagte Azrani bedauernd. »Ich würde an Eurer Stelle das Boot noch hier lassen. Sonst müssten wir es wieder herschleppen lassen, und Dir seht ja, wie arg das dem Rasen schadet…« Olmar, ein hoch gewachsener, glatzköpfiger Mann in den Siebzigern, der gewiss jedes seiner Stiefmütterchen beim Vornamen kannte, murmelte ungeduldig: »Ja, ja! Nun geht schon! Es ist spät, ich hätte die Tore längst schließen müssen!«
»Denkt Dir, Meister«, fragte Marina, »hier könnte es noch einen Ort geben, an dem Phenros etwas hinterlassen hat? Einen Ort, der ebenso gut versteckt und geschützt ist wie die kleine Grotte unter dem Cambrischen Quell?«
Olmar sah sie entsetzt an. »Noch einen? Aber…« Er schüttelte den Kopf und winkte heftig ab. »Nein, nein, ganz gewiss nicht.
Jedenfalls ist mir nie etwas aufgefallen.«
»Schade…«, meinte Azrani mit einem bedauernden Blick zu Marina. »Dann werden wir am Ende noch den ganzen Garten aufgraben lassen müssen…«
»Was?«, keuchte Olmar. »Das ist gewiss nicht Euer Ernst! Ich werde…«
Die beiden Mädchen grinsten sich an und sahen zu, dass sie davonkamen. Als sie die Basilika verlassen hatten, meinte Marina:
»Gute Idee, ihm Angst zu machen. Die Drohung wird ihm Flügel verleihen. Mit Glück findet er ganz von selbst noch etwas Wichtiges.«
Als sie das Ordenshaus erreichten, war der Abend schon fortgeschritten, doch es herrschte keineswegs Ruhe in den altehrwürdigen Hallen. Das Refektorium lag offenbar noch immer unter dem Beschlag des Kellerfundes, und dort schien große Aufregung zu herrschen.
Azrani und Marina ließen sich von dem Lärm anziehen und begaben sich dorthin, ohne zuvor ihr Zimmer aufzusuchen. Wie immer löste ihr Erscheinen bei den Brüdern freudige Erregung aus, und sie lächelten sich verstohlen an – hier würde
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