Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes
Ich… ich überlebte den Absturz eines Drakkenschiffes, in dem ich saß. Ich bin hundert Ellen tief eine Felswand hinabgestürzt und habe es irgendwie überstanden. Ein paarmal hätten mich die Drakken beinahe umgebracht. Und …« Sie unterbrach sich kurz. »Und da war natürlich noch die Sache in…«
»Worauf willst du hinaus, Leandra?«, unterbrach Roya sie.
Leandra seufzte. Man konnte fast sehen, wie heftig ihr Herz schlug. »Worauf? Nun, die meisten von uns, wenn nicht sogar jede, wäre ohne Ulfa längst tot.«
Ein leises Aufstöhnen durchfuhr die Gruppe.
Leandra deutete auf Hellami. »Du hattest einen Pfeil im Herzen – ich war dabei! Da kam Ulfa und blieb eine volle Woche bei dir – in unmittelbarem Körperkontakt –, bis du wieder erwachtest!«
Hellami starrte Leandra betroffen an.
»Ich selbst«, fuhr Leandra fort, »war nach unserer Schlacht in Unifar vollständig gelähmt. Ich wäre binnen weniger Wochen gestorben. Ulfa hat mein gebrochenes Rückgrat geheilt!« Sie fuhr entschlossen zu Marina herum. »Deine Halsschlagader war zerrissen? Und ihr wart irgendwo in einem Wald? Wie willst du das ohne Hilfe überlebt haben? Azrani hätte dich niemals allein…«
»Warte«, sagte Azrani und hob die Hände. »Du hast mich falsch verstanden, Leandra. Ich hatte nicht irgendwann ein Schwert im Leib. Es war genau zur gleichen Zeit. Die Kreaturen hatten uns die halbe Nacht durch den Wald gejagt und schließlich gestellt.
Wir…«, sie holte tief Luft, »nun, ich weiß nur noch, wie mir schwarz vor Augen wurde. Marina lag neben mir und ihr pulste das Blut aus dem Hals. Ich selbst… das Schwert war mindestens zwei Ellen lang. Es schaute aus meinem Rücken wieder heraus.«
Roya holte tief Luft, Alina stöhnte leise auf. »Ich erwachte als Erste wieder«, erklärte Marina. »Es muss über zwei Wochen später gewesen sein. In der Hütte einer alten Frau. Sie hatte einen kleinen Baumdrachen, der oft bei mir war. Azrani lag im Nebenzimmer, sie erwachte vier Tage nach mir.«
So unglaublich diese Geschichte auch klang, Leandra schien nicht weiter beeindruckt. Sie blickte schweigend in die Runde, so als wollte sie es jeder Einzelnen selbst überlassen, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Schließlich seufzte sie. »Ich habe schon früher versucht, diese Rolle von mir zu weisen, aber Ulfa hat es nicht gestattet. Aber er hat nicht nur mich, sondern jede von uns sechs für etwas ausgewählt.«
»Du meinst, unsere Tätowierungen sind sein Zeichen?«
Leandra nickte. »Ja. Ausgelöst durch den Drachentanz mit ihm.
Der Beweis liegt allein schon darin, dass er immer wieder jene Grenze überschritt, die er nie überschreiten wollte. Er rettete jeder Einzelnen von uns das Leben, vielleicht sogar mehrfach. Weil er uns brauchte, weil wir offenbar eine Aufgabe für ihn zu erfüllen hatten. Und sie ist noch nicht beendet. Euch das vor Augen zu führen ist der Grund, warum ich um dieses Treffen gebeten habe.«
Ein Schauer fuhr über Royas Rücken. »Eine Aufgabe?« Ihre Stimme zitterte leise vor Aufregung. »Und was ist das für eine Aufgabe?«
Leandra schüttelte bedächtig den Kopf. »Etwas Genaues kann ich euch leider nicht sagen.
Allerdings…«
»Was?«
»Nun ja – zu tun gäbe es wohl reichlich für uns.«
6
Die Gründung
W as habt ihr da nur den ganzen Tag zu verhandeln?« Victors Frage war an Roya gerichtet, die sich unmittelbar neben ihm an das Balkongeländer des Windhauses lehnte. Zugleich warf er Marko, der unten im Dorf gerade mit einem großen Brett unter dem Arm vorbeiging, ein herausforderndes Grinsen zu.
Marko grinste zurück und zeigte ihm ein weniger wohlerzogenes Handzeichen.
Victor lachte auf. »Ich bin tabu für ihn, weißt du das?«
Roya wandte den Blick zu Victor. »Tabu? Wirklich?«
»Soll ich’s dir beweisen?« Er richtete sich auf, zog Roya schwungvoll an sich her, umarmte sie fest und drückte ihr einen laut schmatzenden Kuss auf die Wange. Dann sah er strahlend zu Marko hinab. »Ist notiert!«, rief Marko fröhlich herauf. »Nur weiter!« Demonstrativ warf er das große Brett in hohem Bogen auf einen Haufen, wo es polternd aufschlug. Die kräftigen Muskeln seines nackten Oberkörpers glänzten vor Schweiß.
»Bin mal gespannt, wann du dich zu rächen gedenkst!«, rief Victor hinab. »Im nächsten Leben?«
»Wirst du schon sehen, großer Shabib!«
Victor lachte lauthals.
»Du meinst, es ist wegen des Pfeils, den er dir ins Bein geschossen hat?«, fragte Roya grinsend.
»Genau.
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