Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
war sie verunglückt,
und er hatte vor Kummer fast den Verstand verloren. Der Glaube
hatte ihm schließlich einen Halt gegeben, und er war dabei geblieben. Dass Ti:Ta’Yuh noch leben und zur Anführerin einer bizarren Sekte aufgestiegen sein sollte, erschien ihm vollkommen
grotesk.
Unruhig durchmaß er sein Arbeitszimmer und versuchte sich
dazu durchzuringen, sein Vorhaben wirklich in die Tat umzusetzen.
Zweifellos hatte Lakorta seine Verleumdungskampagne sorgfältig geplant – mithilfe des Pusmoh. Ja, man wollte ihn loswerden,
die Zeichen waren allzu deutlich. Für drei Tage hatte er noch begrenzte Möglichkeiten, sich abzusetzen. Danach würde es schwierig werden. Der Gedanke war ungeheuerlich, aber vielleicht bot
diese Ti:Ta’Yuh, wer immer sie auch war, eine derart überzeugende Vorstellung, dass man ihn tatsächlich der schweren Ketzerei anklagte und bis zum Prozess inhaftierte. Dann stünde er unter der Aufsicht der Heiligen Garde von Thelur, und damit wäre
eine Flucht so gut wie unmöglich. Heilig!, dachte er wütend. Hier,
in diesem verrotteten Schwanensee, dürfte es nicht mehr viel
geben, was heilig war!
Als er an eine Flucht dachte und daran, dass er dann einfach
fort wäre, wenn die zweite Anhörung stattfand, wollte ihn der
Gedanke an Ti:Ta’Yuh nicht loslassen. Was, wenn sie es wirklich
war? Wenn sie nur von Lakorta gezwungen worden war, gegen
ihn auszusagen? Womöglich vermochte der Kardinal genügend
Druck auf sie auszuüben? Die verrücktesten Gedanken kamen
Ain:Ain’Qua in den Sinn, unter anderem der, dass seine damalige
Verfehlung die Geburt eines Kindes zur Folge gehabt haben könnte. Eines Kindes, von dem er nichts wusste, das Lakorta jetzt in
seiner Gewalt hatte und als Druckmittel gegen Ti:Ta’Yuh verwendete? Sorge kam in ihm auf und ein beinahe schmerzliches Gefühl
einer längst vergangenen Liebe. Doch schließlich wischte er alles
wieder fort. Nur eines war sicher: Blieb er hier, lieferte er sich
aus. Daran, dass er im Amt bleiben würde, konnte er keinesfalls
mehr glauben. Er musste fliehen.
Je früher, desto besser. Schließlich gab es noch anderswo Aufgaben für ihn. Wenn er versuchte, Leandra zu helfen, und sie
erfolgreich waren, mochte sich seine momentane Niederlage in
einen Sieg verwandeln. Das wohl bedeutungsvollste Geheimnis
der gesamten Milchstraße wartete darauf, endlich aufgedeckt zu
werden, und das war gewiss den höchsten Einsatz wert: das Geheimnis um den Pusmoh.
Er ballte die Fäuste und sagte sich, dass er es tun sollte. Und
zwar gleich.
Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass der Abend anbrach.
Wenn er noch zwei Stunden wartete, durfte er sicher sein, keinen
unerwarteten Besuch mehr zu erhalten. Dann konnte er den geheimen Fluchtweg benutzen, den ihm der treue Giacomo einmal
angelegt hatte. Damals hatte Ain:Ain’Qua protestieren wollen, ein
Fluchtweg war ihm völlig unsinnig vorgekommen – jetzt aber war
er froh. Die zwei verbleibenden Stunden würde er noch benötigen, denn es galt, verschiedene Dinge vorzubereiten und andere
abzuschließen.
Von plötzlichem Tatendrang erfüllt, zog Ain:Ain’Qua seine päpstliche Robe aus und hängte sie links von seinem Schreibtisch über
eine spezielle Büste, die dem kostbaren Stück angemessen war.
Kurz blieb er davor stehen und fragte sich, ob dies wohl das letzte
Mal gewesen war, dass er sie getragen hatte. Dann setzte er sich
an seinen Schreibtisch und drückte einen versteckten Schalter.
Während eine Tastatur und ein Holoscreen aus ihren Buchten herausfuhren, strich er mit der Hand über die feine, glatte Holzoberfläche und war ganz sicher, dass er sie mehr vermissen würde als
die Robe.
*
Die Idee, einen Haifanten zu stehlen, gefiel Giacomo.
Gelang ihnen das, und gelang es ihnen auch, die Hülle mit einem Antrieb auszustatten, hatten sie genau das, was sie dringend
benötigten: ein nicht registriertes, schnelles Schiff, mit dem sie
sich frei bewegen und sogar Verfolgern entkommen konnten.
»Die Ti:Ta’Yuh hatte ebenfalls einen TT-Antrieb«, erklärte er,
während Roscoe die Melly Monroe aus der Andock-Bucht von Santavista herausmanövrierte. »Nur dürfte der des Hoppers deutlich
schneller sein.«
»Glauben Sie?«, fragte Roscoe. Er saß im Pilotensitz, die Hände
auf den Steuersticks und die Holoscreens genau im Auge. »Ich
kenne mich mit TT-Antrieben nicht gut aus.«
»Ja, ganz sicher. Als Sie damals in dem Hopper flohen, hatten
die Ortungsdaten der Tigermoth einen IO-2-Antrieb
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