Hoelle auf Zeit
»War Ihnen das eine Lehre?«
»Nein, Sean, ich muß weitermachen. Jetzt noch mehr als frü
her.«
»Sie Dickschädel. Sie sind unbelehrbar, was?« Und dann hat te er einen Einfall. »Heute abend wurde Ihnen ein Schulbei spiel von Gewalttätigkeit demonstriert, aber wie würden Sie darüber denken, selbst in Aktion zu treten?«
»Was meinen Sie damit?«
»Könnten Sie jemand erschießen, wenn Sie es müßten?«
»Keine Ahnung.« Sie war ausgelaugt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Na ja. Morgen ist Samstag. Ich nehme Sie mit zu einem Freund von mir. Jock White, mein ehemaliger Hauptfeldwebel. Er hat einen Hof im Flachmoor, flußabwärts hinter Gravesend. Macht Überlebenstraining. Da wird sich zeigen, was Sie drauf haben.« Er zuckte die Achseln. »Das hilft, die Zeit zu über brücken, während Onkel Jack irgendwas auszugraben ver sucht.«
»Ich tue alles, was Sie sagen.«
»Gehen Sie zu Bett.« Er lächelte. »Ich hole Sie morgen ab, aber nicht zu früh.« Er machte die Tür zu und ging die Treppe hinunter zu seinem Wagen.
Jago hörte wenige Minuten später das Band ab und setzte sich dann mit Smith in Verbindung. Sie sprachen über den Verlauf des Abends.
»Jetzt müßte sie doch eigentlich die Nase voll haben«, meinte Smith. »Mit der ersten Maschine nach Hause und so.«
»Die nicht«, entgegnete Jago. »Eine Lady mit Schneid und Energie. Was ist mit dem Hof bei Gravesend, soll ich hinfah ren?«
»Na klar.«
»Dann wird’s Zeit, daß ich den Wagen wechsle. Reine Vor
sichtsmaßnahme. Besorgen Sie einen Landrover oder was ähnliches für morgen früh. Die Ausrüstung kann ich in ein paar Minuten installieren.«
»Ich kümmere mich darum«, erklärte Smith.
Danach war die Leitung tot. Jago zog den Vorhang ein wenig zur Seite und spähte zu ihrem Haus hinüber. Im Schlafzimmr brannte Licht. Dann wurde es gelöscht.
»Schlaf gut und tief, Schätzchen«, flüsterte er. »Du hast’s verdient.«
Egan fuhr in den Hof neben »The Bargee« und schaltete die Scheinwerfer aus. Als er aus dem Mini Cooper kletterte, ent deckte er hinten im Hof eine Limousine. Plötzlich flammten die Scheinwerfer auf, und Tony Villiers stieg aus.
»Sean.« Er nickte. »Wie geht’s?«
»Ganz ordentlich. Was verschafft mir die Ehre?«
»Sie hat Sie also ausfindig gemacht?«
»Stimmt.«
»Halten Sie sie bei Laune, Sean, weiter nichts. Ich möchte unter keinen Umständen, daß sie in irgend etwas hineingezo gen wird. Kapiert?«
»Sie hat mir von Sally erzählt. Von dem, was Sie durch den Computer erfahren haben.«
»Das war eine vertrauliche Mitteilung. Mehr gibt’s nicht, und vergessen Sie eines nicht, Sergeant. In den ersten sechs Mona ten nach Ihrer Entlassung stehen Sie noch unter Kriegsrecht. Außerdem rangieren Sie im Bedarfsfall als erste Reserve. Bei Ihrer Dringlichkeitseinstufung kann ich Sie jederzeit nach Belieben zurückholen.«
»Colonel Villiers, warum scheren Sie sich nicht zum Teu fel?« Egan öffnete die Tür und ging ins Haus.
Villiers stand ein Weilchen da und lächelte dann widerstre bend. »Das ist mein Sean, wie er leibt und lebt«, sagte er leise.
7
Als sie am nächsten Vormittag kurz vor zwölf aufbrachen, war Sarah wieder wohlauf und erstaunlich heiter. Anscheinend kamen sie überhaupt nie aus der Stadt heraus, was sie verblüff te.
»London hört wohl nie auf«, bemerkte sie.
»Das sieht nur so aus.« Sean grinste. »Jetzt haben wir’s bald hinter uns. Da kommt schon Dartford.«
Ehe sie sich’s versah, hatten sie Dartford passiert und Grave send erreicht. Hinter Gravesend gelangten sie in eine andere Welt. Eine trostlose Landschaft – ebene grüne Felder, von Sümpfen unterbrochen, die sich flußabwärts dahinzogen.
»Ich weiß nicht recht, ob mir das gefällt«, sagte Sarah. »Selt
sam, eine solche Gegend so nahe bei London zu finden.«
»Ja, hier hat man das Gefühl, daß alles fast unverändert ge
blieben ist.«
Von der Flut gespeiste Wasserläufe und Schlammflächen breiteten sich aus, und in der Ferne sah sie große Schiffe in Richtung Meer fahren. An verschiedenen Stellen wucherte das Schilf fast mannshoch. Sie fuhren über eine schmale Straße, die mehr an einen Damm erinnerte, kamen dann durch ein kleines Dorf namens Marton, wo es einen Campingplatz gab.
»Wer um alles in der Welt
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