Hölle ohne Hintertür
war
gut.«
»Vorderstein wollte wissen, wie
viel du weißt. Nichts!, habe ich behauptet. Weder von meinen Spielschulden.
Noch von der... äh... Behandlung. So nennen die das nämlich.«
»Und?«
»Ich habe versichert, so was
würde ich nie zugeben. Erstens weil ich ja weiß, was mir dann blüht. Zweitens
weil ich mein Ansehen retten will. Man hat ja schließlich Ehrgefühl.«
»Hm.«
»Nicht mal meinem Vater habe
ich gesagt, was Sache ist. Jedenfalls jetzt noch nicht. Er hat akzeptiert, dass
ich in Schwierigkeiten stecke und da nur mit Geld rauskomme. Er ist als
Einziger informiert darüber, dass meine Verletzungen eine Warnung sind und die
Sache ohne finanzielle Begleichung nur schlimmer wird. Aber hier im Internat
seien alle überzeugt, dass ich einen Unfall hatte. Das habe ich Vorderstein
verklickert.«
»Weiß ich, dass Geld in der
Blechbox ist?«
»Ja. Aber nicht, wie viel.«
»Und weshalb der geheimnisvolle
Transfer (Zahlung) ?«
»Ich habe dir angeblich ein
wildes Märchen erzählt. Ich hätte jemanden in Schwierigkeiten gebracht. Jetzt
würde ich mich da mit Geld rauskaufen.«
»Wie das die tollen Hechte so
machen, wenn Papa es richtet.«
»Genau.«
»Hat er’s geschluckt?«
Martin zögerte mit der Antwort,
nickte dann. »Ich glaube, ja. Jedenfalls war er nicht mehr so aufgebracht,
sondern eisig wie ein tiefgefrorener Seelachs.«
»Ich hoffe sehr, dass du ihn
überzeugt hast, Martin. Wenn nicht, dann würden sich die bösen Horden nämlich
auf mich einschießen — was mich nicht weiter stört — , doch vor allem könnte
Gaby in Gefahr geraten. Das würde mich gewaltig stören, wie du dir denken
kannst. Dann wären wir total am Ende des lustigen Teils.«
*
Gaby war an diesem Dienstag
nicht per Rad, sondern mit dem Schulbus gekommen. Selbstverständlich benutzte
sie den auch für den Heimweg.
Was das Nachmittagsprogramm
betraf, hatten sich TKKG für später verabredet als sonst, nämlich erst für
15.45 Uhr bei Gaby — ungefähr. Immerhin hatte Tim ja vorher etwas zu erledigen.
Das wollte und konnte er nur allein machen. Vom Bahnhofsviertel bis zu
Glockners in der Altstadt — das musste dann bis Viertel vor vier zu schaffen
sein, hatte er ausgerechnet. Dann wollten sie auf Gabys ausdrücklichen Wunsch
zu diesem Blinden fahren, zu Alexander Korlitzer, dem zurzeit Gabys
uneingeschränktes Mitleid galt. Oskar sollte mit. Denn er war ja verliebt in
Alina, den Blindenhund.
Die Begeisterung, dachte Tim,
reißt mich zwar nicht aus den Sneakers. Aber wenn Gaby ihrer
zwischenmenschlichen Fürsorge freien Lauf lässt, dürfen wir nicht zurückstehen.
Vielleicht kann man ihn ja wirklich ein bisschen aufmuntern, diesen
Einsiedlerkrebs. Ewige Dunkelheit kann verbittern. Vielleicht ist er vom Typ
her ein Augenmensch und findet sein Dasein jetzt trostlos.
Während Tim nach dem
Mittagessen Physik- und Englischaufgaben erledigte, war seine Freundin noch
nicht zu Hause angekommen.
Der Schulbus hält immer an der
Ecke Domkapitel-Weg / Männertreu-Gasse. Außer Gaby stiegen noch Hilmar
Probstier aus, Edeltraut Tschakenröder aus der 8c und eine Abiturientin, ein
verschlossenes Mauerblümchen mit Panzerglas-Brille. Gaby wusste nur, dass sie
Tatjana hieß, aber überhaupt nicht der Typ war.
Gaby schulterte ihren
City-Rucksack. Sie trug ein blaues T-Shirt, Jeans und Tennisschuhe.
Die Männertreu-Gasse ist
quetschschmal, eigentlich nur ein Spalt zwischen fünfstöckigen Wuchtig-Bauten
aus dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Sonnenstrahlen finden
hier keinen Einlass, noch weniger Bikes oder Menschen mit einem Taillenumfang
von mehr als 140 Zentimetern. Letztere würden stecken bleiben. In dem
Halbdunkel riecht es nach Salpeter und Schimmel, nach Moder und den
Hinterlassenschaften streunender Hunde. Gaby passte auf, dass sie nirgendwo
hineintrat; aber es war nun mal mit Abstand der kürzeste Weg von der
Schulbus-Haltestation bis ins malerische Altstadtviertel, wo sie zu Hause ist.
Gaby hatte mehrmals auf dieser
Strecke ihre Schritte gezählt — immer so um die 190. Kam jemand entgegen,
musste man ausweichen, wobei nur Suppenkasper-Figuren es möglich machten. Für
die anderen gab es Ausweichbuchten an zwei Stellen: jeweils zwei Nischen, die
sich paarig gegenüberlagen.
Gaby hatte die erste Bucht
passiert, näherte sich der zweiten, hob den Blick und sah, dass die Nischen vor
ihr belegt waren. Sowohl rechts als auch links stand jemand. Zwei Männer. Eine
massige Schulter ragte
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