Höllen-Mädchen
Aber dafür war es bereits zu spät. Es war so schnell geschehen, daß ich überhaupt nichts gemerkt hatte.
»Oh…«, stammelte ich, noch verwirrter als zuvor. Ich war drauf und dran, so würdevoll in Ohnmacht zu fallen, wie ich nur konnte.
»Du bist gar nicht verletzt«, meinte MähreAnne.
Ich schaute an mir herunter. Doch ich konnte weder eine Wunde noch Blut entdecken. »Aber…«
»Du hast die Wahrheit gesagt«, stellte MähreAnne fest. »Bei einer Lüge hättest du das Horn zu spüren bekommen. Nur die Wahrheit macht es unwirksam.«
Nun verstand ich. Mit weichen Knien schwor ich mir, niemals von der Wahrheit abzuweichen.
»Steig auf Eckehard«, sagte MähreAnne. »Er sagt, daß es nicht weit von hier ist. Wir werden hier warten.«
»Aber ich weiß doch nicht wie!« Auch das war die Wahrheit.
Sie humpelte zu mir herüber. »Heb den Fuß hoch.«
Ich stand neben dem Einhorn und hob mein Knie, wie sie es zuvor getan hatte. Sie ergriff meinen Fuß. »Schwing dein rechtes Bein rüber, wenn ich dich hochstemme.«
Sie hob mich an, und ich schwang mein rechtes Bein über den Rücken des Einhorns. Plötzlich war ich oben und thronte dort unsicher. Mit ihrem Griff hatte sie mich wie auf einer Leiter hinaufbefördert. Nun erst verstand ich, wie sie es mit meiner Hilfe geschafft hatte. Es war keine Zauberei, aber es war ein so geschickter Trick, daß er dem fast schon gleichkam. »Oh, danke«, sagte ich.
»Gern geschehen«, antwortete sie lächelnd.
Mir wurde ganz schummrig. Sie sah so süß aus, wenn sie lächelte!
Plötzlich setzte Eckehard sich in Bewegung. Rasch griff ich mit beiden Händen in seine Mähne und klammerte mich daran fest. Das schien mir im Augenblick die angebrachteste Reaktion zu sein.
Zu meinem Erstaunen konnte ich reiten. Das Einhorn lief wie der Wind – wirklich, das war kein Klischee. Seine Hufe wirbelten so schnell, daß sie kaum den Boden zu berühren schienen. Wir sausten durch den Wald, nur wie vom Sturm gepeitschte Blätter wiesen auf unseren rasenden Ritt hin. Dennoch hatte ich es äußerst bequem auf seinem Rücken. Genausogut hätte ich in einem Boot auf einem ruhigen See sitzen können.
Meine Angst vor dem Reiten verwandelte sich rasch in pure Freude. Aber ich vermutete, daß es auf einem weniger magischen Tier völlig anders wäre. »Das macht Spaß. Ich möchte dir dafür danken«, rief ich.
Eckehard wackelte mit einem Ohr, was ›Ja‹ hieß. Das mußte ich nicht raten, denn jetzt, wo ich auf ihm ritt, verstand ich seine Signale. Das war bestimmt Zauberei. Früher hatte ich nicht einmal bemerkt, wie wunderschön Einhörner sind.
Bald kamen wir zu einem kleinen Teich auf einer anderen Lichtung. Er hatte nichts Besonderes an sich, aber die Pflanzen in seiner Nähe strotzten vor Gesundheit.
Eckehard blieb stehen. Ich stieg ab, indem ich mein rechtes Bein über seinen Rücken schwang und mich auf dem Bauch hinuntergleiten ließ. MähreAnne hatte dies auf ihrem Po viel eleganter zustande gebracht. Nun ja, ich war eben erst Anfänger, und das Mädchen hatte die geeignetere Kehrseite dafür.
Ich fischte zwei kleine Fläschchen aus meinem Bündel. Es waren die einzigen, die mir zur Verfügung standen. Ich bedauerte, daß sie nicht größer waren, denn dieses Wasser war unendlich kostbar. Aber ich wollte es sowieso nicht dazu benutzen, um Geschäfte damit zu machen. Ich brauchte ja nur soviel, um MähreAnne und Horntensie zu behandeln.
Ich kniete mich nieder, um das erste Fläschchen zu füllen. Aber die Uferböschung unter meinem Knie gab nach, so daß ich kopfüber in den Teich stürzte. Die Fläschchen flogen mir aus den Händen. Mir schoß durch den Kopf, was das bedeutete, und ich griff verzweifelt in die Luft. Ein Fläschchen erwischte ich gerade noch, bevor ich untertauchte.
Die Quelle war tief. Ich sank und sank. Unfreiwillig schluckte ich einen Mund voll Wasser. Dann erinnerte ich mich daran, daß es von Nutzen wäre, zu schwimmen. Wild paddelnd gewann ich an Höhe.
Endlich stieß mein Kopf durch die Oberfläche, und ich rang hustend und prustend nach Luft. Aber das Fläschchen hielt ich noch immer in der Hand. Es war voll. Ich stiefelte triefend ans Ufer und fischte nach dem Flaschenstöpsel.
Da fiel mein Blick auf Eckehard. Er schüttelte sich in wieherndem Gelächter. Ich mußte einfach mitlachen, denn ich hatte bestimmt reichlich idiotisch ausgesehen. Eigentlich sah ich immer noch so aus, denn meine Kleider tropften, und die Haare hingen mir in Strähnen ins
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