Höllen-Mädchen
hatte sich bei mir entschuldigt, mir sogar ein Kompliment gemacht und gesagt, daß sie mich mochte. Das war eine größere Dosis positiver Aufmerksamkeit, als mir jemals von einem Mädchen geschenkt worden war.
Bestimmt hatte sie das auch gemerkt. Sie sagte aber nichts, was mich sehr erleichterte. Meine Schwester hätte mich gnadenlos gehänselt, nur damit ich noch mehr errötete – was ihr wohl auch gelungen wäre.
Schließlich gingen wir los. Wir nahmen den Pfad, auf dem ich erst kürzlich gekommen war, da er in nicht allzu großer Entfernung an einem Fluß entlangführte. Ich ging voraus, und Horntensie humpelte hinter mir her.
»Es wäre nicht schlecht zu wissen, wo eine Heilquelle zu finden ist«, sagte ich. »Ihr beiden, du und Horntensie, könntet sie sehr gut gebrauchen.«
»Eine was?« fragte MähreAnne.
»Eine Heilquelle. Unser Dorfältester besaß eine Phiole mit Heilelixier, die er letztes Jahr von einem Händler erstanden hatte. Wenn jemand sich verletzte, benutzten wir einen Tropfen davon. Aber die Leute, die von einer solchen Quelle wissen, geben ihr Geheimnis nicht preis.«
»Warum?«
»Um knallharte Geschäfte mit den anderen machen zu können.«
»Das ist ja widerlich.«
Ich drehte mich zu ihr hin, um sie anzusehen. »So sind die Dinge nun mal. Aber wenn ich wüßte, wo so eine Quelle ist, könnte ich etwas Elixier besorgen. Dir und Horntensie ginge es dann rasch besser.«
»Moment mal! Ich wette, die Einhörner wissen darüber Bescheid!« rief MähreAnne aus. »Sie können uns natürlich nicht davon erzählen, aber vielleicht kann Eckehard dich dort hinbringen.«
»Aber…«, wandte ich ein, und im selben Augenblick schnaubte auch der Hengst aufgebracht.
»Nun hört aber auf, ihr beiden!« sagte MähreAnne streng. Sie hatte dieses typisch weibliche Talent, schlagartig streng zu werden. »Du, Humfrey, willst nicht reiten, und Eckehard möchte dir nicht zeigen, wo die Quelle ist. Aber das werden wir schon irgendwie deichseln.«
»Weiß er denn, wo sie ist?«
»Natürlich! Hast du nicht gesehen, wie er mit seinen Ohren ja gesagt hat, als ich es erwähnte? Aber Einhörner teilen nicht gern Geheimnisse mit Wesen unserer Art, was ich ihnen nicht einmal übelnehmen kann.«
Ich hatte nichts davon mitbekommen. Diese besondere pferdemäßige Ausdrucksweise mußte ich erst noch lernen. »Vielleicht können wir Eckehard eine Flasche mitgeben, und er…« Aber ich begriff schon, es funktionierte nicht. Das Einhorn konnte ja wohl kaum eine Flasche halten.
»Hör mal, Eckehard«, erklärte MähreAnne. »Es wäre wirklich eine große Hilfe für Horntensie und mich, wenn wir etwas von diesem Heilelixier bekommen könnten. Wir haben beide große Schmerzen, auch wenn wir nicht viel Aufhebens darum machen. Nimm mal an, Humfrey schwört, daß er niemals irgend jemandem erzählt, wo die Quelle ist. Würdest du ihn dann hinbringen?«
Eckehard wedelte mit dem Schweif.
»Er möchte wissen, ob man dir trauen kann«, übersetzte sie.
»Äh… ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich meine… natürlich, ja! Ich halte mein Wort. Aber ich wüßte nicht, wie Eckehard da sicher sein kann.«
»Er kann es herausfinden, aber es ist gefährlich.«
»Gefährlich?«
»Wenn ein Einhorn jemanden prüft, gibt es nur bestehen oder verlieren. Entweder du bestehst den Test, oder du bist tot.«
Das jagte mir Angst ein. »Ich möchte nicht sterben! Wenn er sich nun irrt?«
»Was solche Dinge betrifft, irren Einhörner sich nicht. Wenn du also einer Prüfung zustimmst…«
Ich mußte heftig schlucken. »Also gut. Meinetwegen. Aber ich hoffe, daß er weiß, was er da macht!«
MähreAnne glitt vom Rücken des Einhorns herunter. Sie hüpfte auf einem Bein zu Horntensie und klammerte sich an sie. »In Ordnung, Eckehard.«
Der Hengst näherte sich mir. Nicht besonders tapfer versuchte ich meinen Platz zu behaupten. Er senkte sein Horn, so daß es sich gegen meine Brust bohrte. Mit einer einzigen Bewegung seines Kopfes hätte er mir das Herz durchbohren können.
»Jetzt gib dein Versprechen ab«, befahl MähreAnne.
»Was soll ich?«
»Du sollst zustimmen, daß du keiner anderen Person den Ort der Quelle verrätst.«
Oh. »Ich werde niemandem erzählen oder zeigen, wo sich die Heilquelle befindet, zu der du mich bringst«, versprach ich verlegen.
Eckehard stieß mit dem Kopf zu. Das Horn drang durch mein Herz.
Dann zog er es wieder heraus – ich stand immer noch da und fühlte nichts, außer einer aufkeimenden Panik.
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