Höllen-Mädchen
duldeten Magie nur bei Wesen, die sie als minderwertig einstuften. Die Benutzung magischer Objekte war für Zentauren das Äußerste, das sie gerade noch tolerieren konnten. Jeder, der mit Zentauren auf freundschaftlichem Fuß stehen wollte, mußte wie ich lernen, diese Schwäche bedingungslos zu respektieren.
Falls auch Zentauren über magische Kräfte verfügen sollten, mußte ich sie ebenfalls in meine Liste aufnehmen! Aber wie sollte ich das anstellen, wenn sie sich weigerten, dies überhaupt zuzugeben? Drohte nicht meine Mission schon allein daran zu scheitern, daß ich meinen Auftrag nicht vollständig erfüllen konnte?
Diese Überlegungen ließen mich in eine ganz andere Richtung vorstoßen. Ich hatte bisher immer nur an rein menschliche Wesen gedacht, aber wie stand es um die Mischlinge? Zentauren waren nicht die einzigen. Wie sah es bei Harpyien, Feen, Faunen und bei den Bewohnern der Teiche und Tümpel aus? Und wie verhielt es sich mit den Elfen, Ogern und Kobolden? Auf entfernte Weise waren sie alle menschlich und konnten somit über magische Talente verfügen.
Ich fragte mich, welches Ausmaß diese Auflistung wohl noch annehmen könnte?
Nun gut, wir brauchten ein paar Tage, um zum Süddorf zurückzukehren. Dort erstattete ich König Ebnez meinen ersten Bericht. »Soll ich mich auch um all die verschiedenen Menschenabkömmlinge kümmern?« erkundigte ich mich bei ihm.
Der König dachte nach. »Ich bezweifle, daß die menschliche Bevölkerung heutzutage einen halbmenschlichen König akzeptieren würde. Deshalb solltest du die Untersuchung auf rein menschliche Wesen beschränken und alle anderen, die dir über den Weg laufen, lediglich nebenbei erfassen. Es könnte sich später als Vorteil erweisen, darüber informiert zu sein, von welchen anderen Wesen Xanth noch bewohnt wird und zu welcher Magie sie fähig sind.«
Dieser Vorschlag war ein ausgezeichneter Kompromiß. Meine Hochachtung vor Königs Ebnez’ Sachverstand wuchs. Die vier Jahrzehnte seiner königlichen Regentschaft hatten ihn offensichtlich so manches gelehrt.
Doch auch in heutigen Zeiten wurde man gefordert. Ich mußte die Erfahrung machen, daß die Gespräche mit Leuten der leichtere Teil meiner Arbeit war. Zunächst einmal galt es, sie aufzuspüren und mich dabei vor allerlei Gefahren auf den Wegen zu schützen. Ich hatte lernen müssen, mir nicht zu sicher zu sein. Beispielsweise glaubte ich, als wir das erste Mal in das Immermoor eindrangen, mich in den geographischen Gegebenheiten auszukennen – und prompt verirrten wir uns. Nur der Tatsache, daß wir aufsteigen und herausfliegen konnten, verdankten wir unserer Rettung. Und selbst das war nicht unproblematisch, weil uns eine bösartige Wolke mit einem Sturm angriff. Wir waren gezwungen, viele kalte, nasse Stunden auf morastigem Boden in ständiger Angst vor Allegorien, Hypotenusen, und anderen gefährlichen Kreaturen zu verbringen. Mich störte das nicht, zumal ich MähreAnne in die Arme nehmen und wärmen konnte, aber die Pferde waren verärgert, weil ihre Flügel durchweichten.
Dann war da noch der Vorfall auf Berg Parnaß. Die Mänaden waren meiner Meinung nach menschliche Wesen, also mußten auch sie befragt werden. Ich wußte, daß es gefährlich war, ihnen zu begegnen. Sie neigten dazu, menschliche Wesen als willkommene Abwechslung in ihren Speiseplan aufzunehmen. Wie konnte ich die Begegnung unbeschadet überstehen?
»Vielleicht solltest du lieber die ganze Zeit auf dem Pferd sitzen bleiben«, schlug MähreAnne vor, »und sofort wegfliegen, wenn sie angreifen.«
»Viel zu riskant. Mir ist zu Ohren gekommen, daß sie sich unglaublich schnell bewegen können, wenn sie hungrig sind, und hungrig sind sie immer.«
Sie nickte zustimmend. Es blieb uns nichts anderes übrig, als uns etwas Neues einfallen zu lassen.
In der Zwischenzeit suchten wir am Fuße des Berges eine Menschensiedlung auf. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um ein Vorratslager des Orakeltempels, der sich ganz in der Nähe einer Höhle oder Erdspalte befand, aus der magische Dämpfe aufstiegen. Eine junge Frau, die man als Pythia bezeichnete, inhalierte diese Dämpfe und stieß dabei ein völlig unverständliches Gemurmel aus. Priester übersetzten dann dieses Gemurmel und beantworteten damit die Fragen der Besucher. Doch das Leben der Pythia war nicht ganz ungefährlich, denn manchmal vergaß sich die orakelnde Riesenpython und verschlang die Pythia. In einem solchen Falle mußte sie ersetzt
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