Hoellenflirt
aushalten zu müssen. Irgendwie scheint es nur gerecht zu sein, dass nichts mehr in meinem Leben reibungslos läuft.
Auf der Tegernseer Landstraße erschlägt mich der Auto-und Straßenbahnlärm. Ich renne beinahe, weil ich auf einmal Angst habe, Giltine könnte gar nicht mehr zu Hause sein oder mir – müde vom langen Warten – einfach nicht aufmachen.
Doch als ich atemlos an ihrer Haustür klingle, höre ich sofort ihre Stimme aus der Sprechanlage. »Dritter Stock«, sagt sie kurz und ich betrete das muffige Treppenhaus, in dem es so still ist, als wäre es schalldicht isoliert.
Während ich zu Giltine hochsteige, frage ich mich, ob das eine gute Idee war, zu ihr zu gehen, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen. Wenn sie Leichen verschwinden lassen kann, was Schwallfi ja für unmöglich hält, dann...
Quatsch, Toni, es ist heller Tag, deine Nerven liegen einfach blank.
Giltine öffnet die schwarze Haustür, bevor ich klingeln kann, und lächelt mich an. Sie sieht fast so ähnlich aus, wie ich mir früher Schneewittchen vorgestellt habe: blasse Haut, umgeben von ölschwarz schimmerndem Haar, das weit über ihre Schultern bis fast zur Taille ihrer dunkelvioletten Seidentunika fällt. Ihr Mund ist tiefrot angemalt. Doch ihre Augen sind anders als die von Schneewittchen, nämlich mit schwarzen und türkisfarbigen Balken umrahmt wie bei einer ägyptischen Göttin.
Etwas an diesem Gesicht stimmt nicht, macht mir Angst, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Sie lächelt mich jetzt breiter an, dabei werden die Lippen so weit auseinandergezogen, dass ich ihr hellrosa Zahnfleisch sehen kann. Wirkt merkwürdig intim neben dem roten Lippenstiftmund.
Ich folge ihr durch den Flur, der dunkelgrün gestrichen ist, in eine Wohnküche, die so ähnlich normal aussieht wie die von Valle. Allerdings liegt ein merkwürdiger Geruch in der Wohnung. Metallisch? Rost?
»Was willst du trinken?«, fragt sie, und noch bevor ich antworten kann, fügt sie hinzu: »Kaffee, Tee oder vielleicht Katzenblut?« Sie grinst und brüht sich dabei einen merkwürdig duftenden Tee auf.
»Hast du vielleicht Cola?«
Wortlos öffnet Giltine den alten Kühlschrank, holt eine Cola heraus und stellt sie vor mich auf den Tisch.
Während sie in einer Küchenschublade nach einem Öffner sucht, kommt es mir so vor, als würde ich von irgendwoher eine Art Flüstern hören. Doch bevor ich mich darauf konzentrieren kann, schubst sie die Schublade mit einem Rums schon wieder zu und übertönt so alle anderen Geräusche.
Die Küche ist wie ein Schlauch geschnitten, an dessen Ende ein kleiner halbrunder Erker ist. Hier befindet sich ein altmodischer dunkler Holzsekretär, auf dem sich Buchstapel türmen. Darüber hängt zwischen zwei Fenstern eine riesige Pinnwand voller Fotos und Zettel. Vor dem Sekretär steht ein altmodischer Polstersessel, über den eine schwarze Decke drapiert ist, von deren vier Zipfeln verschiedene buschige Tierschwänze herunterbaumeln.
»Also?«, frage ich und lecke Cola von meinen Lippen.
Ihre ägyptischen Pharaonenaugen schauen mich durchdringend an.
Dann lächelt sie mich an, dabei wird wieder ihr Zahnfleisch freigelegt. »Ich möchte dich einfach besser kennenlernen. Ich weiß nur wenig von dir. Wir müssen auf Valle aufpassen, weil er sehr sensibel ist, aber das ist dir sicher schon aufgefallen?«
Valle sensibel? Valle ist klug und sexy. Aber sensibel? Schwallfi ist genau der Typ, der sich selbst für sensibel halten würde. Darauf werde ich nicht antworten.
»Ich würde viel lieber wissen, was genau mit dem Detektiv passiert ist!«, sage ich stattdessen und ärgere mich im gleichen Augenblick darüber, weil ich mich nicht direkt zu fragen traue, was sie mit ihm gemacht hat.
Sie blickt mir in die Augen und schüttelt dabei milde ihren Kopf. »Das ist nicht mehr deine Sache. Du hast dich entschieden, ihn uns zu überlassen, und fertig. Was hättest du davon, wenn du’s wüsstest?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht würde es mich beruhigen und ich müsste nicht mehr dauernd daran denken. Was ist, wenn Friedrichsen Familie hatte?« Ich wundere mich selbst, wie ich so ruhig mit ihr sprechen kann, dabei bin ich innerlich bis zum Zerreißen gespannt.
»Was glaubst du denn, was wir mit ihm gemacht haben?« Giltine lächelt mich jetzt so breit an, dass ihr Zahnfleisch wie das Innere einer Wunde aussieht. Ihre Pharaonenaugen durchbohren mich dabei, sodass ich unwillkürlich die Hand vor die Brust
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