Höllenflut
der See.
Gunn stand neben dem Ruder und schaute durch das
Brückenfenster auf den wie ausgestorben wirkenden Hafen.
»Wenn wir zwischen den Kais und den Lagerhäusern vor Anker
gehen, fällt das zu sehr auf. Laut General Montaigne sind die
Sicherheitsvorkehrungen nicht strenger als in jedem anderen
Hafen. Wenn er recht hat, können wir uns das Versteckspielen
schenken. Ich schlage vor, daß wir uns einfach beim
Hafenmeister melden, ihm erklären, daß wir wegen dringender
Reparaturen eine Weile im Hafen liegen müssen, und uns
unmittelbar vor ihrer Nase an die Arbeit machen.«
Stewart nickte und meldete sich über Satellitentelefon, das
den guten alten Schiffsfunk weitgehend abgelöst hatte, beim
Hafenmeister. »Hier ist das NUMA-Forschungsschiff Marine
Denizen. Erbitten wegen dringender Reparaturarbeiten am
Ruder die Erlaubnis zum Anlegen.«
Der Hafenmeister, ein sehr zuvorkommender Mann, der sich
als Henry Pang vorstellte, erteilte sofort die Erlaubnis.
»Selbstverständlich. Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich schicke Ihnen
ein Boot vorbei, das Sie zu Kai siebzehn bringt. Dort können Sie
anlegen. Genug freie Liegeplätze haben wir ja.«
»Besten Dank, Mr. Pang«, antwortete Stewart.
»Sucht ihr etwa seltene Fische?« fragte Fang.
»Nein, wir haben die Strömungsverhältnisse im Golf
untersucht. Dabei sind wir auf eine nicht in den Karten
vermerkte Untiefe gelaufen und haben unser Ruder beschädigt.
Es reagiert zwar noch, läßt sich aber nicht mehr voll
einschlagen.«
»Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt«, sagte Fang
höflich. »Melden Sie sich einfach, falls Sie einen Schlosser oder
Ersatzteile brauchen sollten.«
»Vielen Dank«, erwiderte Stewart. »Wir warten auf Ihr
Lotsenboot.«
»General Montaigne hatte recht«, sagte Gunn. »Soviel zum
Thema strenge Sicherheitsvorkehrungen.«
Über Nacht war eine Schlechtwetterfront durchgezogen, so
daß die Decks der Marine Denizen in der aufgehenden Sonne
glänzten und glitzerten. Stewart hatte zwei Mann von seiner
Besatzung auf einer Arbeitsbühne zum Ruder hinabgelassen. Sie
taten so, als ob sie da unten Reparaturen vornähmen. Notwendig
war das Theater allem Anschein nach nicht. Die von hohen
Kränen gesäumten Kais wirkten so einsam und verlassen wie ein
Fußballstadion mitten in der Woche. Die beiden chinesischen
Frachter, die Gunn am Abend zuvor gesehen hatte, waren über
Nacht ausgelaufen. Die Marine Denizen hatte den ganzen Hafen
für sich.
Tief im Bauch der Denizen befand sich ein großer, offener
Raum, der das eigentliche Herzstück des Forschungsschiffes
beherbergte, den sogenannten Moon-Pool. Im Grunde
genommen handelte es sich um eine Art Wasserschleuse - zwei
Bodenplatten, die wie Fahrstuhltüren auseinanderglitten, wurden
aufgefahren, so daß Wasser eindrang, bis es etwa fünf Meter
hoch stand. Von hier aus konnte man auch bei starkem Seegang
Taucher aussetzen, Tauchboote ausbringen, Meßgeräte bergen
und die Apparaturen einholen, mit denen die Wissenschaftler
das Meeresgetier fingen, das sie später im Labor untersuchen
wollten.
Die Besatzung und die Wissenschaftler frühstückten in aller
Ruhe, bevor sie sich auf den Arbeitsbühnen rund um den MoonPool einfanden. Ein Benthos-Tauchroboter, der etwa dreimal so
groß war wie das kompakte AUV, das Pitt am Orion Lake
eingesetzt hatte, hing an einem Ablaufgerüst über dem Wasser.
Es war ein robustes, stromlinienförmiges Gerät, das von zwei
Strahldüsen getrieben wurde und bis zu fünf Knoten schnell
war. Im Bug war eine Benthos-Videokamera mit
Restlichtverstärker und hoher Bildauflösung eingebaut. Darüber
hinaus war das AUV mit einer digitalen Fotokamera und einem
Bodenradar ausgestattet, das jeden Hohlraum unter dem
Stahlbeton feststellen konnte. Ein Taucher, der nur der Quallen
wegen einen Neoprenanzug trug, paddelte lässig auf dem
Rücken und wartete darauf, daß der Tauchroboter abgelassen
wurde.
Stewart wandte sich an Gunn, der in einem Nebenraum vor
einem Computermonitor saß, über dem ein großer Bildschirm
angebracht war. »Von uns aus kann's losgehen, Rudi.«
»Laßt ihn runter«, sagte Gunn mit einer knappen
Handbewegung.
Leise surrend ließ die Winde das AUV in das schimmernde,
dunkle Wasser hinab. Der Taucher löste das Ablaufgerüst,
schwamm zu einer Leiter und kletterte auf eine Arbeitsbühne.
Stewart begab sich in den kleinen Nebenraum, der von oben
bis unten mit Elektronik vollgepackt war, Er setzte sich neben
Gunn, der unverwandt auf den
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