Hoellenglanz
nicht der Einzige von uns, der seinen Instinkten ausgeliefert ist. Ich habe das unerschütterliche Bedürfnis, anderen Leuten entgegenzukommen – was ich in der Regel immer sehr schnell bereue. Ich konnte nur hoffen, dass das heute anders sein würde.
Bevor wir gingen, erteilte Andrew Margaret noch eine Menge guter Ratschläge über das Unterwegssein mit einer Halbe-Million-Dollar-Ausreißerin. Es war unverkennbar, dass er sich gewünscht hätte, wir würden gar nicht erst rausgehen, aber Margaret bestand darauf. Ich sei ziemlich weit von Buffalo entfernt, sagte sie, und sähe mit meinem schwarzen Haar auch nicht mehr aus wie das Mädchen auf den Plakaten. Und außerdem – welches Kidnappingopfer würde mit einer Frau unterwegs sein, die ohne weiteres als ihre Großmutter durchgehen konnte?
Also gingen wir. Margarets Auto war ein elegantes europäisches Modell, die Sorte, die mein Vater immer als Leasingwagen fuhr, was mich natürlich an ihn erinnerte. Dad und ich hatten uns nie wirklich nahegestanden. Ich war Moms Baby gewesen, und nach ihrem Tod … na ja, auch da war es wohl wieder eine Frage des Instinkts gewesen. Manche Leute haben das instinktive Bedürfnis, Eltern zu sein, und andere nicht. Und Dad hatte es nicht, obwohl er sein Bestes gab.
Er reiste viel, was nicht gerade half. Trotzdem, ihm lag an mir, mehr, als mir klar gewesen war. Nach meinem Zusammenbruch war er von Berlin aus nach Hause geflogen, um für mich da zu sein, bis ich nach Lyle House eingewiesen wurde. Und auch danach war er nur weggegangen, weil er musste, und hatte geglaubt, ich wäre in Tante Laurens Obhut sicher.
»Also, dieses ganze Nekromantenzeug«, sagte Tori vom Rücksitz her. »Chloe weiß wirklich nicht viel drüber.«
Sie teilte mir mit einer Geste mit, ich solle anfangen, Fragen zu stellen. Wie lange hatte ich mir gewünscht, einen anderen Nekromanten zu treffen, um Antworten zu bekommen. Und nun war hier einer, aber ich hatte noch keine einzige Frage gestellt. Mir Sorgen um Dad zu machen würde mir nicht weiterhelfen.
Ich begann damit, dass ich mich bei Margaret nach den geisterhaften Reenactments erkundigte, die ich gesehen hatte. Nachbilder, sagte sie, aber sie erzählte mir nichts, auf das ich nicht auch von selbst schon gekommen war. Sie waren Manifestationen der Energie, die von einem traumatischen Vorfall übrig geblieben war, liefen wieder und wieder ab wie eine Endlosschleife beim Film. Harmlose Abbilder, keine Geister. Und was die Frage anging, wie man sie blockieren konnte …
»Darüber brauchst du dir in den nächsten Jahren noch keine Gedanken zu machen. Konzentrier dich im Augenblick lieber auf Geister. Mit Nachbildern kannst du dich befassen, wenn du alt genug bist, sie zu sehen.«
»Aber ich sehe sie doch.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, was du gesehen hast, war ein Geist, der seine Sterbeform wieder angenommen hat – das Aussehen im Augenblick seines Todes. Geister können das bedauerlicherweise, und manche tun es, um Nekromanten einzuschüchtern.«
»Ich glaube nicht, dass es das war.« Ich erzählte ihr von den Nachbildern, die ich gesehen hatte – dem Mann, der in der Fabrik in eine Säge gesprungen war, dem Mädchen, das auf dem Autobahnrasthof ermordet worden war.
»Mein Gott«, sagte Tori. »Das ist …« Als ich mich nach ihr umsah, stellte ich fest, dass sie bleich geworden war. »Du
siehst
das?«
»Ich habe gehört, du magst Filme, Chloe«, schaltete Margaret sich ein. »Ich vermute, du hast eine sehr lebhafte Fantasie.«
»Okay, können Sie mir dann wenigstens sagen, wie ich sie blockieren kann, wenn ich irgendwann mal anfange, sie zu sehen?«
Sie hatte wohl eine Spur Sarkasmus in meiner Stimme gehört, denn sie warf mir einen scharfen Blick zu. Ich starrte mit großen Augen zurück und sagte: »Es hilft mir, wenn ich weiß, was noch kommt. Dann kann ich mir sicher sein, dass ich damit klarkomme.«
Sie nickte. »Eine sehr gute Einstellung, Chloe. In Ordnung, ich verrate dir jetzt ein Insidergeheimnis. Wenn du ein Nachbild siehst, gibt es eine unschlagbare Methode, damit umzugehen. Geh einfach weg.«
»Kann ich sie blockieren?«
»Nein, aber das brauchst du auch nicht. Geh einfach weg. Es sind keine Geister, also können sie dir auch nicht folgen.«
Darauf wäre ich auch von allein gekommen. Das eigentliche Problem war ein anderes. »Wie kann ich feststellen, ob es ein Nachbild ist? Wenn es echt aussieht – woran merkt man dann, dass es das
nicht
ist? Bevor man
Weitere Kostenlose Bücher