Hoellennacht
eine Bedrohung, Jack? Geht es hier um so was?«
» Ich möchte einfach nur mit ihm reden, mehr nicht«, sagte er. » Ehrenwort.«
58
Nightingale lehnte sich gegen die Wand, die Hand auf das gelbe Metallgeländer gelegt. » In welchem Stock sind wir jetzt?«, keuchte er. Die Treppe war voller Müllhaufen und Kakerlaken. Es stank kräftig nach Erbrochenem und Urin, und zwar umso schlimmer, je höher sie stiegen.
» Im siebten«, antwortete Jenny. » Und du wärst nicht so fertig, wenn du nicht so viel rauchen würdest.«
» Rauchen tut einem gut«, behauptete Nightingale. » Es steckt voller Vitamine und Mineralien und hat weder Kalorien noch Fett.« Er zeigte auf die Treppe. » Körperliche Anstrengung, das ist das Schlimme. Schau nur, was sie mit mir anstellt.«
» Du solltest mehr Sport treiben«, sagte Jenny. » Vielleicht mit Joggen anfangen.«
» Ich muss nicht abnehmen«, sagte Nightingale. Er tätschelte seinen Bauch. » Ich bin nicht dick. Zeige mir einen dicken Raucher, und ich zeige dir einen Raucher, der nicht inhaliert.«
» Was zum Teufel soll denn das bedeuten?«, fragte Jenny.
» Ich habe absolut keine Ahnung«, antwortete er und ging wieder los. » Ich wollte mich einfach nur verteidigen.«
» Wann überwindest du eigentlich diese Lift-Phobie?«
» Nie.«
» Jack, Lifts sind so ungefähr das sicherste Transportmittel, was es gibt. Weißt du, wie viele Menschen in den letzten zwanzig Jahren in Großbritannien bei Liftunfällen umgekommen sind? Keiner. Da hast du’s.«
» Woher weißt du das?«
Jenny grinste. » Ich weiß es gar nicht. Ich habe es gerade eben erfunden. Aber man hört nie von Liftunfällen, oder?«
» Das liegt an einer Verschwörung zwischen den Medien und den großen Liftgesellschaften.«
» Unsinn.«
» Können wir es einfach dabei belassen, dass ich Lifts nicht mag? Ist doch keine große Sache, Jenny. Außerdem, wenn du hier in einem Lift steckenbleibst, bist du verhungert, bevor jemand kommt und dir hilft.«
Sie erreichten den neunten Stock, und Nightingale hielt die Tür auf, damit Jenny als Erste hindurchgehen konnte. Der Geruch nach Erbrochenem und Urin war im Korridor sogar noch schlimmer. Der Boden war nackter Beton, und die blassgrünen Wände waren streifig von Schmutz. Ein Schild der Hausverwaltung ermahnte die Mieter, ihren Müll nicht im Treppenhaus zu lassen. » Das ist die Wohnung«, sagte Jenny und zeigte auf eine Tür zur Rechten.
» Du klopfst und vergewisserst dich, dass er es ist, und dann trete ich ein.«
» Jack, bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Wir sind nur durch Lügen ins Haus gekommen, und er wird sich nicht freuen, uns zu sehen.«
» Bitte, Jenny. Tu es einfach.«
Jenny ging zur Tür und drückte auf die Klingel. Nightingale stellte sich flach an die Wand. Die Tür ging auf, und Nightingale hielt den Atem an.
» Mr. Harrison?«, fragte Jenny.
» Richtig«, antwortete eine Männerstimme. » Sie kommen von der Mobilfunkgesellschaft?«
» George Arthur Harrison?«
» Ich sagte doch schon, dass ich es bin.«
Nightingale stieß sich von der Wand ab und stemmte die Hand gegen die Tür, so dass Harrison sie nicht schließen konnte. » Mr. Harrison, ich brauche ein paar Minuten Ihrer Zeit«, sagte er.
Harrison war klein und mager. Er trug ein fleckiges T-Shirt, das mehrere Nummern zu groß für ihn wirkte, und braune Cargohosen, die unten umgeschlagen waren. Es sah aus, als wäre er in seinen Kleidern geschrumpft. » Wer sind Sie?« Er hatte sich fettige Sardellen über seine Halbglatze gelegt, die kaum seine von Leberflecken übersäte Kopfhaut verdeckten. Von drinnen kamen die Geräusche irgendeiner Trash-Talkshow . Das Studiopublikum heulte und höhnte.
» Ich heiße Nightingale, Jack Nightingale.«
Harrison versuchte, die Tür zuzumachen, aber Nightingale war zu stark für ihn. » Ich rufe die Polizei«, sagte Harrison.
» Jack«, sagte Jenny. » Vielleicht sollten wir gehen.«
» Nur ein paar Minuten, Mr. Harrison. Dann gehen wir. Versprochen.«
Harrison drückte noch immer gegen die Tür, merkte aber schließlich, dass er diesen Kampf niemals gewinnen würde. Er trat zurück und hob abwehrend die Hände. Nightingale sah, dass seine Fingernägel bis aufs Fleisch abgekaut waren. » Bitte, lassen Sie mich einfach in Ruhe.«
» Dann wissen Sie also, wer ich bin?«, fragte Nightingale.
» Sie sind der Junge, der Nightingale-Junge. Natürlich weiß ich das. Denken Sie, ich könnte das jemals vergessen?«
» Ich
Weitere Kostenlose Bücher