Hoellennacht
Nightingale.
» Ihnen ist bewusst, dass wir verpflichtet sind, das Finanzamt zu informieren, wenn Sie diese Gelder in unserer Filiale einzahlen?«, fragte Collinson.
» Das war mir neu, aber jetzt weiß ich Bescheid.«
» Wahrscheinlich müssen Sie für den Kapitalgewinn Steuern zahlen, und Sie müssen ein Formular ausfüllen, in dem Sie erläutern, wo das Geld herkommt.«
» Kein Problem«, antwortete Nightingale.
» Dann sagen Sie mir, was haben Sie mit dem Geld vor?«, fragte der Bankdirektor und strich mit den Fingern der rechten Hand über die Geldbündel.
» Ich würde gerne ein Konto bei Ihnen eröffnen, das Geld hier in Pfund umtauschen und auf das Konto einzahlen. Über das Konto möchte ich dann die Hypothek weiter abbezahlen, die mein Vater aufgenommen hat. Klingt das sinnvoll?«
Collinson nickte.
» Ich werde meine Buchhalterin bitten, Sie wegen der Formalitäten anzurufen.«
» Wir brauchen eine Kopie Ihres Passes, zwei Energie- oder Wasserrechnungen jüngeren Datums und eine Auskunft Ihrer derzeitigen Bank«, sagte Collinson.
» Kein Problem«, meinte Nightingale.
» Haben Sie vor, noch mehr Bücher Ihres Vaters zu verkaufen, Mr. Nightingale?«, fragte der Bankdirektor.
» Möglich«, antwortete Nightingale. » Ich will eine Bestandsliste erstellen, um zu sehen, was da ist.«
» Das müssen sehr interessante Bücher sein«, sagte Collinson. » Vielleicht könnten Sie sie mir gelegentlich zeigen.«
» Sie sind sehr speziell, Mr. Collinson«, antwortete Nightingale. » Ich glaube kaum, dass sie für Sie von großem Interesse wären.«
Im Nachbarhaus der Bank bot ein Optiker einen kostenlosen Sehtest und fünfzig Prozent Rabatt auf alle Brillengestelle an. Eine junge Frau in einem weißen Kittel, das lange, schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, stand hinter der Theke und zeigte einer Hausfrau mit zwei kleinen Kindern verschiedene Gestelle. Hinter ihr hing eine Sehtafel, und Nightingale las die Buchstaben bis hinunter zur letzten Zeile. Er hatte seit jeher ausgezeichnete Augen. Ein Klingelzeichen ertönte, als er die Tür aufstieß und hineinging.
64
Nightingale saß schon an seinem Schreibtisch, als Jenny ins Büro trat. Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt; seine Tastatur lag auf seinem Schoß, und er starrte aufmerksam auf den Bildschirm. » Du bist aber früh dran«, sagte sie und bemerkte dann die Whiskyflasche neben dem überfließenden Aschenbecher. » Oder bist du gestern Abend gar nicht heimgegangen?«
» Ich konnte nicht schlafen«, antwortete Nightingale. » Alles in Ordnung mit dir?«
» Ich habe an Türen und Fenstern neue Schlösser anbringen lassen, und Banhams baut diese Woche noch eine Alarmanlage mit Bewegungsmelder ein.«
» Sie kommen nicht wieder, Jenny. Sie wollten nur das Tagebuch haben.«
» Ich werde mich sicherer fühlen.« Sie zog ihren Mantel aus und hängte ihn innen an der Tür auf. Nightingale griff nach dem Whisky und nahm einen ordentlichen Schluck. » Was ist los, Jack?«
» Warum sollte irgendwas los sein?«
» Es ist halb neun Uhr früh, und du trinkst Whisky.«
» Glaubst du an die Hölle, Jenny?«
» Natürlich nicht.« Sie setzte sich ihm gegenüber und schob den Whisky aus seiner Reichweite.
» Und warum nicht?«
» Wie könnte es einen Ort namens Hölle geben? Wo sollte die denn sein? Wir kartieren das Universum, aber sie ist nirgends zu finden. Sie kann nicht auf einem Planeten oder Stern oder in einem schwarzen Loch sein.«
» Dann glaubst du also auch nicht an den Himmel?«
» Als Ort natürlich nicht. Engel, die auf Wolken sitzen und Harfe spielen? Ist doch lächerlich.«
» Wenn wir also tot sind, sind wir tot, und das ist’s gewesen? Kommt einfach das Nichts? Der große Abgrund?«
» Das Leben wird weitergehen, ob ich nun hier bin oder nicht, es herrscht also nicht das große Nichts. Was ist los, Jack?«
Nightingale schüttelte den Kopf. » Ich möchte wohl gern wissen, was passiert, wenn wir sterben. Das ist die eine Frage, die niemand beantworten kann. Das ist doch paradox, oder? Wir sterben alle, das ist das eine, was wir alle gemeinsam haben, und doch weiß keiner, was das wirklich bedeutet.«
» Es hängt davon ab, was man glaubt, Jack. Manche Menschen glauben wirklich, dass sie in den Himmel kommen, wenn sie sterben. Andere glauben, dass sie wiedergeboren werden, dass unsere Zeit hier einfach nur Teil eines Prozesses ist.«
» Reinkarnation?«
» Genau. Atheisten glauben, dass nach dem Tod das Nichts
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