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Hoellennacht

Hoellennacht

Titel: Hoellennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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Puppe dann aufbricht, kommt ein Schmetterling heraus. Weiß die Raupe, dass sie eines Tages ein Schmetterling sein wird? Das bezweifle ich. Aus Sicht der Raupe ist die Puppe der Tod. Das Ende der Raupe. Und erinnert sich der Schmetterling daran, dass er einmal eine Raupe war?«
    » Wer weiß?«, meinte Nightingale.
    » Genau«, erwiderte Jenny. » Wer weiß. Aber hast du jemals einen Schmetterling gesehen, der sich mit Raupen abgibt? Nein, hast du nicht. Sie haben nichts miteinander gemein. Vielleicht ergeht es uns nach unserem Tod ja genauso. Ein Teil von uns tut den nächsten Schritt und wirft keinen Blick zurück.«
    » Unser Geist, meinst du?«
    »Es heißt, wenn man stirbt, verliert man einundzwanzig Gramm. Die verschwinden einfach. Wiegt man einen Menschen vor seinem Tod und dann noch einmal danach, sind einundzwanzig Gramm einfach weg.«
    » Wer sagt das?«, fragte Nightingale.
    » Ich habe in meinem Abschlussjahr an der Uni einen Philosophiekurs belegt«, antwortete Jenny. » Das Experiment wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von einem amerikanischen Arzt durchgeführt. Duncan MacDougall hieß er. Er entwarf ein spezielles Bett, das auf eine Wiegevorrichtung gebaut war, und er hatte sechs sterbende Patienten, die bereit waren, ihm zu helfen. Durch Wiegen des ganzen Bettes war der Verlust von Schweiß und Urin, alles Körperliche also, mit einbezogen. Bei allen sechs Patienten gab es im Moment des Todes einen unmittelbaren Gewichtsverlust von einundzwanzig Gramm.«
    Nightingale zog die Augenbrauen zusammen. » Und das soll nun also das Gewicht einer menschlichen Seele sein? Einundzwanzig Gramm?«
    » Ungefähr das Gewicht eines Kolibris«, meinte Jenny. » So lautete MacDougalls Theorie. Er wiederholte das Experiment mit fünfzehn Hunden. Band sie auf dem Bett fest und schläferte sie ein. Bei den Hunden trat mit dem Tod kein Gewichtsverlust ein. Seine Theorie lautete, dass Menschen Seelen hätten und Hunde nicht.«
    » Und warum ist das Experiment seitdem nicht wiederholt worden?«
    » Sterbende wiegen? Ich weiß nicht recht, ob man heutzutage damit noch durchkäme.« Jenny legte ihm die Hand auf die Schulter. » Was ist los, Jack? Wie kommst du plötzlich auf all das?«
    » Gib mir den Whisky, dann erzähle ich es dir.«
    » Jack…«
    Nightingale streckte die Hand aus. Jenny gab ihm die Flasche.
    » Du weißt ja, dass man ein Zeichen tragen sollte, ein Pentagramm?«
    » Wenn die Seele an den Teufel verkauft wurde, richtig. Aber du hast kein solches Zeichen, schon vergessen?«
    » Neben der Bank in Brighton gibt es einen Optiker. Ich habe in der Bank das Geld eingezahlt, und der Optiker bot einen kostenlosen Augentest an.«
    » Du brauchst keine Brille«, sagte sie. » Du hast doch die reinsten Adleraugen.«
    » Ich habe meine Netzhaut scannen lassen«, berichtete er leise. » Ich dachte mir, das ist einer der Körperteile, die man nie zu sehen bekommt.«
    » Und?«
    Nightingale schob einen großen, braunen Umschlag über den Schreibtisch. Sie öffnete ihn mit zitternden Händen und holte ein Foto heraus. Es zeigte zwei Bilder, Netzhautscans des rechten und des linken Auges. Im linken unteren Bereich des linken Auges war ein kleines, schwarzes Pentagramm zu sehen.

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    » Das ist doch unmöglich«, sagte Jenny und starrte das Bild entsetzt an.
    » Ja, das hat der Optiker auch gesagt.«
    » Es ist ein Pentagramm.«
    » Nicht wahr?«
    » Auf deinem Augenhintergrund?«
    » Offensichtlich. Er hat den Scan noch einmal wiederholt, weil er dachte, das Ganze könnte an seinem Gerät liegen.«
    » Jack…«
    » Ich weiß.«
    » O Gott.«
    » Genau was ich denke.« Er hob die Flasche und prostete ihr zu. » Jetzt verstehst du, warum ich trinke. Es ist Mittwochmorgen. Morgen Nacht um Mitternacht… blah, blah, blah.«
    » Das also hast du vor?«, fragte Jenny angeekelt. » Du willst dich zu Tode saufen?«
    » Ich habe vor, mit Proserpina zu reden. Ich weiß nur noch nicht, wie ich das anstellen soll. Ich habe das Internet abgegrast, aber da ist nicht viel über sie zu finden.«
    » Bitte sag mir, dass das ein Witz ist«, meinte Jenny. » Ich mache dir einen Kaffee, ob du willst oder nicht.« Sie ging zur Kaffeemaschine. » Das also machst du hier? Du suchst Proserpinas E-Mail-Adresse?« Sie zwang sich zu einem Lächeln. » Wahrscheinlich hotmail.«
    » Ha, ha«, machte Nightingale. » Der Kerl, den ich gestern am Flughafen getroffen habe, sagte, dass das alles stimmt, dass man Seelen verkaufen kann, und dass es

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