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Hoellennacht

Hoellennacht

Titel: Hoellennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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Dann ist ja noch Zeit für einen zweiten Kaffee«, sagte er.
    » Was liest du denn da?«, fragte Jenny, während sie zur Kaffeemaschine ging. Sie stellte die schmutzigen Becher weg und holte einen neuen.
    » Ein Buch«, sagte Nightingale. » Und ich lese es nicht, ich starre es an und versuche, einen Sinn in die Buchstaben zu bekommen, was nicht das Gleiche ist.«
    » Sag mal, wovon redest du da?«, fragte Jenny. Sie schenkte ihm Kaffee ein und brachte ihn in sein Büro.
    Nightingale reichte ihr das Buch. » Schau selbst«, sagte er.
    Jenny schlug es auf. Es war mit einem handschriftlichen Gekritzel gefüllt, teilweise in blauer Tinte, teilweise in schwarzer und teilweise in etwas, das verstörend nach getrocknetem Blut aussah. Zwischen den Zeilen waren Skizzen von Kreisen und Pentagrammen eingefügt. Jenny versuchte, aufs Geratewohl einen Satz zu lesen, aber sie bekam keinen Sinn hinein. Es war jedenfalls kein Englisch und auch keine andere Sprache, die sie erkannte.
    » Anfangs dachte ich, ich wäre plötzlich an Dyslexie erkrankt«, sagte Nightingale. Er trank einen Schluck Kaffee und wollte dann nach der Whiskyflasche greifen.
    Jenny rückte sie aus seiner Reichweite, ohne den Blick vom Buch zu wenden. » An Dyslexie erkrankt man nicht«, sagte sie und sah stirnrunzelnd auf die krakelige Schrift. » Woher hast du das?«
    » Ich habe es gestern Abend aus dem Haus mitgenommen«, erklärte Nightingale. » Der Keller des alten Gosling ist gerammelt voll mit Büchern und allem möglichen Zeug … komischem Zeug. Ich dachte, das hier könnte sein Tagebuch gewesen sein, aber ich werde einfach nicht schlau daraus. Ich dachte, es wäre vielleicht rückwärts geschrieben, aber selbst wenn man es von rechts nach links liest, ergibt es keinen Sinn.«
    Jenny blickte auf. » Ich hab’s«, sagte sie.
    » Die Spannung bringt mich um«, meinte Nightingale. » Was ist dir aufgefallen?«
    » Es ist nicht rückwärts geschrieben, es ist in Spiegelschrift verfasst. Das ist ein Unterschied.«
    » Dann muss man es also in einem Spiegel lesen? Wie zum Teufel hat er denn das hinbekommen?«
    » Man kann sich beibringen, so zu schreiben. Leonardo da Vinci hatte diese Gewohnheit, damit keiner seine Texte lesen konnte.« Jenny holte einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche, setzte sich Nightingale gegenüber und hielt das Buch so, dass eine Seite gespiegelt wurde.
    Nightingale schüttelte den Kopf. » Es ergibt noch immer keinen Sinn.«
    » Weil es kein Englisch ist, deswegen.«
    Er nahm ihr den Spiegel aus der Hand und versuchte, einen Satz zu lesen. » Was ist es denn? Italienisch?«
    » Lateinisch.«
    » Meine Gesamtschule hatte es nicht so mit den toten Sprachen«, sagte Nightingale. » Kannst du das übersetzen?«
    Jenny verdrehte die Augen. » Hast du denn meinen Lebenslauf nicht gelesen, als du mich eingestellt hast?«
    » Ich war zu sehr damit beschäftigt, deine Beine zu bewundern«, sagte Nightingale. » Kannst du mir sagen, was da steht?«
    » Das dauert ein bisschen.«
    Ein plötzliches Klopfen an der Tür schreckte sie auf. Jenny beeilte sich aufzumachen. Joel McBride, ein Mann mittleren Alters, der im Rollstuhl saß, blickte zu ihr auf. Er war Ende vierzig und hatte glattes, braunes, leicht angegrautes Haar, das ihm ständig in die Augen fiel. Er trug eine scharlachrote Windjacke und schwarze Lederhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern. Seine mächtigen Armmuskeln mussten wohl daher kommen, dass er seinen Rollstuhl selbst vorwärtsbewegte. » Bitte entschuldigen Sie, dass ich zu früh komme, aber das Taxi hat die Abholzeit falsch verstanden«, sagte McBride.
    » Kein Problem«, antwortete Nightingale und stand auf. » Wie meine reizende Assistentin mir vorhin in Erinnerung gerufen hat: Der frühe Wurm fängt den Vogel. Wir müssen über etwas sprechen.«
    » Wegen meiner Frau?«, fragte McBride.
    » Leider ja«, antwortete Nightingale.

16
    Nightingale bestellte noch ein Corona, sein drittes mittlerweile, und überlegte, ob es die Mühe wert war, das Weinlokal kurz zu verlassen, um draußen eine Zigarette zu rauchen, beschloss aber, dass er es alles in allem doch vorzog, weiter das Spiel Manchester United gegen Liverpool zu verfolgen, das mit abgestelltem Ton auf einem großen LCD -Fernseher lief. Nightingales Vater, sein richtiger Vater, der Mann, der ihn großgezogen hatte, war ein großer United-Fan gewesen und im Laufe der Jahre mit seinem Sohn zu Hunderten von Spielen gegangen. Bill Nightingale hatte immer eine

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