Hoellenpforte
ausnahmsweise war Scarlett froh darüber. Sie hätte das alles nur ungern allein durchgestanden.
»Weißt du noch, was mit dir passiert ist, nachdem du verschwunden bist? Vielleicht möchtest du mit deiner Ankunft in der Kirche beginnen…«
Die Polizistinnen waren beide um die dreißig und nett, aber streng. Scarlett hatte sich mittlerweile überlegt, was sie sagen würde. Ihr war klar, dass ihre Story ziemlich dünn war, aber sie würde reichen müssen.
»Ich erinnere mich an gar nichts«, sagte sie. »Ich habe mich in der Kirche nicht wohl gefühlt. Mir war schwindlig. Also ging ich nach draußen, um frische Luft zu schnappen – und von da an weiß ich nichts mehr. Ich glaube, ich bin umgekippt. Ich weiß nicht…«
»Du bist ohnmächtig geworden?«
»Ich glaube schon. Ich will Ihnen ja helfen. Ich weiß nur nicht…«
Die beiden Polizistinnen machten ein misstrauisches Gesicht.
Sie waren schon lange genug dabei, um zu erkennen, wenn jemand log, und dass Scarlett etwas verheimlichte, war offensichtlich. Aber sie konnten nicht viel dagegen tun. Sie stellten ihr immer wieder dieselben Fragen und bekamen immer wieder dieselben Antworten. Ihr war schlecht geworden. Sie war in Ohnmacht gefallen. An mehr konnte sie sich nicht erinnern.
Und welche andere Erklärung hätte es sonst geben können? Die Befragung endete, als Paul Adams auftauchte. Er war mit dem Taxi direkt vom Flughafen Heathrow gekommen und stürmte ins Zimmer. Sein Anzug war zerknittert und auf seinem Gesicht lag eine Mischung aus Sorge, Erleichterung und Gereiztheit – noch verstärkt durch eine starke Dosis Jetlag. »Scarly!« Er nahm seine Tochter in die Arme.
»Hallo, Dad.«
»Ich kann nicht fassen, dass sie dich gefunden haben. Bist du verletzt? Wo warst du?« Die beiden Polizistinnen tauschten einen Blick. Paul Adams sah sie an. »Wenn Sie einverstanden sind, nehme ich meine Tochter jetzt mit nach Hause. Mrs Murdoch…«
Sie verließen das Krankenhaus durch einen Hinterausgang, um dem Journalistenrudel aus dem Weg zu gehen, das vorn auf sie lauerte. Scarlett war inzwischen total erledigt. Sie war am Vormittag gefunden worden und jetzt war es früher Abend. Sie wollte nur noch ins Bett, und als es endlich so weit war, schlief sie die ganze Nacht durch. Vielleicht war das gut so. Sie würde ihre ganze Kraft für die Schlagzeilen brauchen, die sie am nächsten Morgen erwarteten.
Verschwundene Schülerin gefunden
Die unter ungeklärten Umständen auf einem Schulausflug verschwundene fünfzehnjährige Schülerin Scarlett Adams ist nach nur einem Tag von der Polizei gefunden worden. Nach ihrem Verschwinden aus der Kirche St. Meredith im Londoner Osten ging man zunächst von einer Entführung aus und startete eine landesweite Suche. Später fand man sie jedoch in derselben Kirche. Sie wurde im Krankenhaus wegen leichter Verletzungen behandelt, doch es gibt keine Hinweise auf ein Verbrechen.
Bisher hat das Mädchen – das von den Lehrern ihrer Privatschule in Dulwich als »klug und vernünftig« beschrieben wird – noch keine Erklärung für sein Verschwinden liefern können und beruft sich auf einen Gedächtnisverlust. Der Vater, Firmenanwalt Paul Adams, bestreitet energisch, dass das Ganze möglicherweise nur ein dummer Streich war. »Scarlett hat eine traumatische Erfahrung gemacht, und ich bin überglücklich, sie zurückzuhaben«, sagt er.
Bei der Polizei gilt der Fall als abgeschlossen. »Wichtig ist nur, dass Scarlett nichts passiert ist«, sagt Detective Judith King von Scotland Yard. »Vielleicht werden wir nie erfahren, was in den achtzehn Stunden geschehen ist, in denen sie verschwunden war, aber zumindest können wir sicher sein, dass kein Verbrechen verübt wurde.«
Der Artikel war per Fax fünfundzwanzigtausend Kilometer weit verschickt worden. Jetzt wurde er von einem Jungen in Nazca, Peru, aufmerksam studiert. Der Junge stand auf, ging zum Schreibtisch und hielt das Blatt Papier unter die Lampe. Neben dem Artikel war ein Foto von Scarlett abgedruckt. Es zeigte sie mit einem Hockeyschläger, eingerahmt von zwei weiteren Mädchen. Ein Mannschaftsfoto. Der Junge sah sie sich genau an. Er fand, dass sie gut aussah. Vermutlich eine Asiatin. Und ziemlich sicher in seinem Alter.
»Wann ist das gekommen?«, fragte er.
»Vor einer halben Stunde«, lautete die Antwort.
Der Name des Jungen war Matthew Freeman. Er war der erste der Torhüter und aus irgendeinem Grund betrachteten die anderen ihn als
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