Hoellenpforte
ihren Anführer. Vor vier Monaten hatte er sich in der Wüste Nazca den Alten entgegengestellt und versucht, das gewaltige Tor zu schließen, das sie jahrtausendelang von der Welt ferngehalten hatte. Es war ihm nicht gelungen. Der König der Alten hatte ihn niedergestreckt und vermeintlich tot liegen lassen. Das Letzte, was er gesehen hatte, war die Armee der Alten gewesen, die sich ausbreitete und in die Nacht verschwand.
Er hatte sechs Wochen gebraucht, um sich von seinen Verletzungen zu erholen. Seitdem überlegte er, wie es weitergehen sollte. Er lebte zurzeit in einem peruanischen Farmhaus, ein Stück außerhalb des Ortes Nazca. Richard Cole, der Journalist, der mit ihm aus England gekommen war, war noch immer an seiner Seite. Richard war sein engster Freund. Er war es, der Matt das Fax gebracht hatte.
»Sie muss es sein«, sagte Matt.
Richard nickte. »Sie war in St. Meredith. Sie muss durch dieselbe Tür gegangen sein, die du auch benutzt hast. Gott weiß, wo sie gelandet ist. Sie war achtzehn Stunden weg.«
»Ihr Name ist Scarlett.«
»Scar.« Richard nickte wieder.
Matt dachte nach. Die letzten vier Monate hatte er auf die einzig mögliche Weise nach Scarlett gesucht – in seinen Träumen. Nacht für Nacht hatte er die merkwürdige Traumwelt besucht, die er inzwischen so gut kannte. Sie hatte ihm in der Vergangenheit schon öfter geholfen. Er war sicher, dass er Scarlett dort irgendwo finden konnte. Die Traumwelt würde ihn bestimmt zu ihr führen und ihm so noch einmal helfen.
Und jetzt war sie vollkommen unerwartet in der wirklichen Welt aufgetaucht. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie die Richtige war, die fünfte der Fünf. Und sie war in England, in London! Schülerin einer teuren Privatschule.
»Wir müssen zu ihr«, sagte Matt. »Wir müssen sofort aufbrechen.«
»Ich suche schon nach Flügen.«
Matt hielt das Foto noch einmal ins Licht. »Scar«, murmelte er. »Jetzt wissen wir, wo sie ist.«
»Das stimmt«, bestätigte Richard. Er machte ein ernstes Gesicht. »Aber die Alten wissen es auch.«
MATTS TAGEBUCH (1)
Ich habe nie um all das gebeten. Ich wollte nie ein Teil davon sein. Und sogar jetzt noch kapiere ich nicht genau, was hier eigentlich geschieht oder warum ausgerechnet ich es sein muss.
Ich hatte gehofft, dass es helfen würde, dieses Tagebuch zu schreiben. Es war Richards Idee, alles zu Papier zu bringen. Aber es funktioniert nicht so, wie ich gehofft habe. Je mehr ich über mein Leben nachdenke, je mehr ich davon aufschreibe, desto verwirrender wird es.
Manchmal versuche ich, dorthin zurückzugehen, wo alles anfing, aber ich weiß nicht einmal mehr genau, wo das war. War es der Tag, an dem meine Eltern starben? Oder hat es in Ipswich angefangen, an dem Abend, an dem ich beschloss, mit meinem besten Freund in ein Lagerhaus einzubrechen… davon abgesehen, dass er alles andere als ein Freund war? Vielleicht sind die Entscheidungen aber auch schon bei meiner Geburt getroffen worden. Matthew Freeman. Du wirst nicht zur Schule gehen wie andere Kinder. Du wirst nicht Fußball spielen, keinen Abschluss machen und keinen Beruf ergreifen. Du bist aus einem anderen Grund hier. Das kannst du gern abstreiten, aber es ist nun mal, wie es ist.
Ich denke oft an meine Eltern, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, mich an ihre Gesichter und ihre Stimmen zu erinnern. Mein Vater war Arzt, ein Allgemeinmediziner mit einer Praxis um die Ecke von unserem Haus. Ich erinnere mich nur noch vage an einen Mann mit einem Bart und einer goldgerahmten Brille. Er war politisch sehr engagiert. Wir haben schon Dinge recycelt, lange bevor es in Mode kam, und er hat sich immer über das Gesundheitssystem aufgeregt… zu viele Beamte, zu viele Einschränkungen. Andererseits hat er auch viel gelacht. Er hat mir abends immer vorgelesen. Und es gab eine Comedy-Show im Fernsehen, die er nie verpasst hat. Sie lief immer am Sonntagabend, aber ich habe vergessen, wie sie hieß.
Meine Mutter war wesentlich kleiner als er. Sie machte ständig irgendeine Diät, obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, dass sie zu dick war. Es hat ihr sicher nicht geholfen, dass sie eine so gute Köchin war. Sie hat Brot und Kuchen selbst gebacken und immer schon im September mit der Produktion von Weihnachtsgebäck angefangen, das sie dann für wohltätige Zwecke verkauft hat. Sie hatte einen Teilzeitjob bei einem Makler – aber wenn ich von der Schule kam, war sie immer da. Das war eine ihrer Regeln. Sie wollte nicht, dass
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