Hoellenprinz
sich dann noch nicht mal daran erinnern!
»Aber du hast gebettelt, hast immer den einen Satz wiederholt: âºZeig mir jetzt, wie Küssen gehtâ¹, und dann hast du gelacht. Und weil du das so oft gesagt hast, hat dann jemand gemeint â ich glaube es war Lukas â, Daniel soll dich jetzt küssen, damit du endlich die Klappe hältst.«
Das saÃ. Elas Magen krampfte sich zusammen. Zeig mir jetzt, wie Küssen geht, hatte sie gesagt. Daniel musste die Anspielung verstanden haben.
Es ist Herbst. Ich soll das Laub im Garten zusammenrechen, ich hasse das. Doch da sehe ich, dass Daniel gerade dasselbe tut, wahrscheinlich ist Mama deshalb auf die Idee gekommen. Also flitze ich raus, schnappe mir den Rechen und beginne direkt an der Grundstücksgrenze.
»Lass uns einen groÃen Haufen machen«, schlägt Daniel vor und wir tun es.
Der Haufen in der Mitte des Gartens wächst und wächst, und als wir fertig sind, stehen wir vor einem richtigen Berg â unserem Berg. Daniel dreht dem Laub den Rücken zu und lässt sich fallen, mit breit ausgestreckten Armen, und schreit dabei ganz laut:
»Ich bin der Laubprinz und du bist die Prinzessin!«
Ich schreie genauso und lasse mich neben ihn fallen. Unsere Hände treffen sich über unseren Köpfen. Wir halten einander fest.
Daniel ist elf und ich bin neun. Irgendwann, nachdem wir eine Weile nebeneinander im Laub gelegen und in den Himmel geschaut haben, dreht er sich zu mir um und fragt: »Soll ich dir zeigen, wie Küssen geht?«
Ich zögere, denn eigentlich finde ich Küssen eklig. Wenn sie das im Fernsehen machen, schaue ich immer weg. Aber wenn man sich liebt, muss man sich auch küssen. Also sage ich schlieÃlich Ja.
Daniel spitzt die Lippen.
Ich tue es ihm nach.
Daniel beugt sich zu mir.
Ich komme ihm entgegen.
Plötzlich steht seine Mutter neben uns und schnauzt Daniel an: »Was machst du hier? Du sollst mir helfen und dich nicht im Dreck rumsuhlen.«
»Okay«, durchbrach Sophie die viel zu lang anhaltende Stille. »Ich geh dann mal.«
»Nein! âtschuldigung. Ich bin nur total erschöpft. Was ist dann passiert?«
»Ihr habt euch geküsst und â¦Â«
»So richtig?«, unterbrach sie Sophie.
»Ja. So richtig. Und gar nicht mal kurz. Danach ist Daniel aufgestanden und in den Wald gegangen. Er wollte Holz holen, hat er gesagt, und du bist hinterher.«
Wie demütigend! Sie schämte sich entsetzlich, vor sich selbst und den anderen, die das alles mit angesehen hatten.
Caro!, schoss es ihr durch den Kopf. Was wusste Caro von alldem?
»Ich muss jetzt echt«, sagte Sophie. »Sehen wir uns morgen im Vereinsheim?«
»Weià noch nicht«, antwortete Ela. »Sebastian war vorhin im Präsidium. Er wird da sein, hat er gesagt.«
»Okay.«
Ela blieb allein zurück, noch immer gegen die Hauswand gelehnt. Allein mit der Erkenntnis, dass sie ihren ersten und einzigen Kuss von Daniel im Suff ertränkt hatte.
9
Lukas hing auf seinem Schreibtischstuhl, als hätten ihn seine Muskeln verlassen. Sein Rücken war krumm, der rechte Arm lag schlaff neben der Tastatur, mit dem linken stützte er träge seinen Kopf und seine Schultern waren nach vorne gebeugt. Zwei Stunden saà er nun schon hier und glotzte auf den Monitor. Nur ab und zu, wenn eines der Mädchen nicht im Zimmer war und er vorspulen konnte, bewegte er die Maus â seine einzige Bewegung. Bis heute Abend musste er aus den letzten beiden Wochen genug Material für den nächsten Film gebastelt haben. Alle zwei Wochen zehn Minuten, so lautete die Abmachung. Langsam wurde er nervös, denn er war schon beim letzten Mittwoch, hatte also nur noch drei Tage zu sichten und erst vier brauchbare Minuten. Der Hagere wird ihn fertigmachen, wenn er kein vernünftiges Material brachte. Lukasâ Körper zuckte zusammen. Ihn widerte die Vorstellung an, dem Hageren zu begegnen, allein, ohne Daniel.
Daniel â¦
Sein Bein zuckte so stark, dass es von unten gegen die Tischplatte knallte. Er setzte sich seine Kopfhörer auf, navigierte mit ein paar Klicks auf seinem MP3-Player zu seiner Lieblingsband und drückte auf Play. Daniel hatte sie entdeckt. Sie kam aus Australien und machte eine Mischung aus Hip-Hop und Punkrock. Daniel hatte einen genialen Riecher für Musik. Lukas stellte auf volle Lautstärke. Der Bass pustete ihm den Kopf leer. Er starrte wieder auf den
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