Hoellenprinz
Besseres zu tun, als vor dem Ding zu sitzen?«
»Hallo Vater. Ja ⦠nein. Ich schau mir ein paar Unis an.«
Geschickt lieà er den für diese Situation immer vorbereiteten Internetexplorer aufpoppen.
»Stell die Musik ab. Von dem Krach kann man ja nur dumm werden.«
Lukas stellte sie ab. Sein Vater stand jetzt hinter ihm.
»Ich habe gedacht, ich könnte mich in Berlin bewerben. Da gibt es keinen NC«, log Lukas, der sich noch keine Sekunde mit einem möglichen Studium beschäftigt hatte.
Sein Vater stemmte die Hände in die Hüften und lieà seinen Blick missbilligend über das Chaos rund um den Schreibtisch wandern. Dabei schüttelte er kaum merkbar den Kopf. Lukas fühlte immer schon im Vorfeld, wie Begegnungen mit seinem Vater verlaufen würden. Heute lag eine besondere Schwingung in der Luft, nicht die Vorboten eines Wutanfalls oder eines demütigenden Monologs, sondern etwas Feierliches, GroÃes.
»In 30 Minuten kommst du runter ins Kaminzimmer. Deine Mutter und ich haben mit dir zu reden. Berlin kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Diese Stadt schluckt Versager wie Kröten Mücken. Wir haben andere Pläne.«
Ein Aber formte sich in Lukasâ Mund, blieb jedoch hinter den verkrampften Lippen â wie so vieles. Stattdessen nickte er nur und hielt sein zuckendes Bein fest. Der Vater drehte sich um und verlieà das Zimmer.
Eine Mücke sitzt am Teichrand. Sie ist allein und ihre Gedanken sind zu hören: »All meine Freunde wurden schon gefressen, nur ich nicht.«
Sie schaut nach rechts, schaut nach links. Alles bleibt ruhig. Sie beginnt, laut zu singen: »Hallo ihr Kröten. Kommt und fresst mich. Ich bin gaaaaaaanz lecker, leckerleckerlecker!«
Aber keine Kröte kommt. Der Himmel färbt sich rot und bald klingt das Lied der Mücke, als wäre ihre Batterie leer. Bis sie schlieÃlich verstummt. Und da hört man plötzlich ein Summen. Die Mücke fliegt umher und sucht den Teich nach der Quelle des Geräuschs ab. Endlich entdeckt sie es. Es ist das Schnarchen der Frösche.
»Sie sind eingeschlafen«, sagt die Mücke. »Ich bin nicht einmal gut genug, um gefressen zu werden.« Sie stürzt sich in den Teich und ertrinkt.
Lukas schreckte hoch. Was tat er hier? Er musste sich beeilen. In 20 Minuten sollte er unten sein. Er konnte überhaupt nicht absehen, wie lange dieses Gespräch dauern würde, aber er vermutete, dass es besser wäre, den Film für den Hageren vorher fertigzustellen. Um 24 Uhr war die Ãbergabe. Zum Glück hatte er die brauchbaren Szenen beider Mädchen sortiert in zwei Ordnern gespeichert. Verwendet hatte er sie zwar alle schon im ersten Film, aber er hoffte, sie mit seinen Computerprogrammen so verändern zu können, dass der Hagere es nicht merkte. Er setzte den Kopfhörer wieder auf, stellte auf volle Lautstärke und fing an, die Bilder und den Ton zu bearbeiten.
Wom-Wom-Wom â¦
10
23 :30 Uhr. Lukasâ Eltern waren gleich nach dem Gespräch ins Bett gegangen. Er lag seitdem auf dem Boden in seinem Zimmer und hörte Musik, mit dem Handy in der Hand, damit er das Vibrieren der SMS nicht verpasste.
Seine Eltern, oder besser gesagt sein Vater, hatten ihm heute Abend erklärt, wie seine Zukunft auszusehen hatte, ein Tag nachdem sein bester Freund gestorben war.
»Kopf hoch, Junge. Das wird schon wieder. Dieser Daniel hatte sowieso keinen guten Einfluss auf dich.«
Verdammtes Arschloch! An die Gurgel wäre er ihm am liebsten gesprungen, und was hatte er getan? Nichts!
Seine Mutter hatte wie immer nur schweigend danebengesessen, den Kopf schräg gehalten und versucht, Mitgefühl auszudrücken. Ihr Gesichtsausdruck war aber schnell in Selbstmitleid abgerutscht, wie so oft bei solchen Gelegenheiten. Zu derartigen Unterredungen trug sie weniger bei als die antike Standuhr in der Ecke, die mit ihrem Ticken wenigstens das Fortschreiten der Zeit verkündete.
Sein Vater dagegen war wie immer in seinem Element gewesen. Er war auf- und abgelaufen und hatte mit seinen Armen groÃe Gesten vollführt, als hätte er ein voll besetztes Auditorium vor sich gehabt. Ab August habe Lukas eine Banklehre anzufangen. Bernhard, Studienfreund und Bankdirektor in einer Person, würde sich persönlich seiner annehmen und ihm den Schliff verpassen, den er benötigte, um in der Arbeitswelt zu bestehen. Ein bitterer Geschmack hatte sich auf
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