Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus (German Edition)
ihren alten Idealen: »Bones forever«. Sie hatten es noch einfach, aus dem Club auszusteigen; später wurden die Regeln viel härter. In den ersten zwei Jahren konnte jeder, der wollte, den Club wieder verlassen, ohne einen triftigen Grund zu nennen. Später ging das nur noch mit Zustimmung des eigenen Charters und aus schwerwiegenden Gründen wie Krankheit, Familienproblemen oder größeren Streitereien im Club. Denn die Member wissen zu viel über Clubstrukturen – und die sollen geheim bleiben.
Die ersten beiden Jahre im Club waren für alle mehr als chaotisch. In unserem Charter wurden die Posten wild besetzt: Jeder war mal Präsident, mal Vize, mal Sergeant at Arms, mal Road-Captain – und keiner wusste so richtig, was er machen sollte.
Irgendwann bekamen wir unsere erste Einladung zu einem German-Officers-Meeting. Ein Member kam auf unser Clubgelände und übergab uns einen Umschlag, in dem Ort und Zeit des Meetings standen. Unsere Auf-
Unser neuer Angels Place
gabe war es, diese Nachricht zum nächsten Charter zu bringen. In der Clubsprache nennt sich das »Pony-Express«. Die Nachrichtenübermittlung darf nur durch absolut vertrauenswürdige Clubmitglieder erfolgen. Wenn beispielsweise Hannover ein Meeting organisierte, schickten die einen Member nach Kassel, der uns die Nachricht übergab. Daraufhin fuhr einer von uns nach Frankfurt am Main, ein anderer in den Ruhrpott. Diese beiden Charter nahmen die Nachricht an sich, brachten sie nach Mannheim, Stuttgart, München und so weiter. Innerhalb von sechs Stunden wussten alle deutschen Charter, wann und wo das nächste Meeting stattfand. Dieser Aufwand war notwendig, damit die Bullen nichts mitbekamen.
Bei unserem ersten gemeinsamen Meeting wurden viele organisatorische Sachen besprochen. Zum Beispiel wurde uns gesagt, dass wir uns ab sofort nach den World-Rules richten müssten. Das sind die Gesetze der Hells Angels, die für alle Member weltweit bindend sind. Auf dem Meeting durfte jeder neue Präsident und Vize-Präsident sich die World-Rules durchlesen, doch sie mit ins eigene Charter zu nehmen, war zu diesem Zeitpunkt undenkbar. Denn die Hells Angels beschützen diese Regeln wie den Heiligen Gral. Eine wichtige Regel, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen darf, besagt beispielsweise, dass im Club keine Schwarzen geduldet werden. Ungeschrieben und trotzdem Gesetz: Die Frau eines Bruders ist absolutes Tabu, und jeder Member muss eine Harley besitzen. Des Weiteren müssen Gewinne aus Geschäften der Member prozentual an den Club abgetreten werden.
Die internen Strukturen gleichen sich bei allen Outlaw-Motorradclubs und ähneln denen der Politik. An oberster Stelle stehen die Amerikaner, in Person Sonny Barger, Mitbegründer des Clubs. Direkt nach ihm kommen die Präsidenten der einzelnen Charter, gefolgt von ihren Vize-Präsidenten. Einen Deutschland-Chef gibt es nicht, auch keinen Hells-Angels-Chef von Spanien oder sonst irgendwo auf der Welt. Die Präsidenten und Vize-Präsidenten sind die höchsten Entscheidungsträger des jeweiligen Charters und untereinander gleichgestellt. Direkt danach folgen die einzelnen Amtsträger. Der Finanzminister bei den Hells Angels ist der Charter-Treasurer, der für die Einnahmen und Ausgaben seines eigenen Charters verantwortlich ist. Er muss auch dafür sorgen, dass alle Beiträge für Veranstaltungen in Deutschland, Europa oder in Amerika fristgerecht überwiesen werden. Der Verteidigungsminister bei den Hells Angels nennt sich Sergeant at Arms und arbeitet Hand in Hand mit dem Road-Captain, dem Verkehrsminister.
Der Road-Captain muss beispielsweise für Gast-Brüder aus dem Ausland Bikes organisieren. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist es, Strecken auszuarbeiten und dafür entsprechende Fahrzeuge zu besorgen. Diese Routenpläne müssen auf die Minute genau stimmen, denn wenn ein Motorrad-Konvoi am Zielort mehrere Minuten warten muss, beschäftigen sich die Bullen damit. Die kommen dann mit dämlichen Fragen an: »Was wollt ihr hier? Was habt ihr vor?« Meist nutzen sie diese Momente für Leibesvisitationen und suchen nach Waffen, Drogen oder vertraulichen Dokumenten. So etwas darf natürlich nicht passieren.
Der Sergeant at Arms ist für die Sicherheit und die Waffen im Club zuständig. Ich selbst hatte zu meiner Zeit als Vize-Präsident diesen Posten übernommen, da es in unserem Kasseler Charter damals niemand anderen gab, der dazu befähigt gewesen wäre. Mehrere Versuche mit anderen Membern
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