Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus (German Edition)
Dreimal musste der Typ ziehen, um sie zu starten. Neben dem Eingangstor befand sich eine Holzwand, direkt dahinter standen unsere Bierbänke und Tische gestapelt beziehungsweise an die Wand gelehnt. Der Bulle sägte ein Loch in die Holzwand – so clever, dass das Loch nicht bis zum Boden reichte. Fünfzehn oder zwanzig Jungs vom SEK mussten einzeln in voller Montur und mit Maschinenpistole in der Hand durch das Loch klettern – welch eine Lachnummer. So etwas hatte ich noch nicht erlebt.
Als die Bullen endlich in voller Mannstärke auf dem Clubgelände angekommen waren, mussten wir uns auf den Boden legen. Wir konnten ja nichts mehr machen. Die saßen am längeren Hebel, hatten bessere Gewehre und mehr Munition. Sie begannen, uns zu durchsuchen, und gingen dann ins Clubhaus. Dieses hatte auch einen Hinterausgang, dessen Tür sich nur nach innen öffnen ließ. Das wussten die schlauen Bullen offensichtlich nicht, denn sie brachten von innen eine Sprengladung an. Auf die Idee, die Tür einfach zu öffnen, kamen sie nicht. Erst als nach der Explosion die Tür immer noch in ihrem Rahmen hing, merkten sie, dass sie sich nach innen öffnen ließ – eine großartige Show!
Am Ende wurden wir – sechs Member, ein paar Prospects, Hangarounds und Supporter – festgenommen und zur Vernehmung aufs Revier gebracht. Wir sollten DNA -Proben abgeben, was viele freiwillig machten. Ich weigerte mich, was jedoch völlig egal war. Meine DNA hatten sie nämlich schon längst.
Die Bullen sperrten mich in eine Zelle, während sie zur gleichen Zeit unsere Wohnungen durchsuchten, insgesamt dreizehn. Anschließend verhörten sie mich: Sie wollten wissen, was wir vorhatten. Ich sagte nichts, keiner von uns sagte etwas. Um halb zwei Uhr nachts ließen sie mich wieder frei – als Letzten. Gefunden und sichergestellt hatten sie an diesem Tag einiges: Im Clubhaus waren mehrere scharfe Waffen, Munition, eine Pump-Gun, ein Vorderlader, Nachtsichtgerät und kugelsichere Westen versteckt. Bei mir zu Hause fanden sie einen Revolver, bei einigen Brüdern verbotene Messer, Marihuana und ein bisschen Koks.
Der Prozess gegen uns fand am 29. März 2007 in Kassel statt. Unsere Anwälte beantragten Freispruch, weil die Durchsuchungsaktion nicht erlaubt gewesen war. Den Bullen lagen keine konkreten Anhaltspunkte auf eine Straftat vor. Deshalb, so argumentierten unsere Anwälte, dürften die sichergestellten Waffen nicht als Beweismittel zugelassen werden. Das Gericht sah das anders. Meine drei Brüder und ich wurden zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt. Ich bekam Bewährung und sollte fünfhundert Euro Strafe zahlen, weil ich in meiner Kutte vor dem Richter erschienen war. Das hatte dem Staatsanwalt nicht gefallen, der Richter aber sah das anders. Es gibt nämlich keine Kleiderordnung für Angeklagte vor Gericht.
Polizei, Justiz und Staatsanwaltschaft waren unser Feindbild schlechthin. Sie versuchten, international gegen uns zu arbeiten. Bis heute tauschen sie Ermittlungsergebnisse gegen die Hells Angels aus. Zu meiner Zeit bemühten sie sich, uns immer einen Schritt voraus zu sein. Das klappte allerdings nur sehr selten, da wir die besseren Kontakte hatten. Den Beamten waren ihr Papierkram und die vielschichtige Bürokratie im Weg. Bei uns klappte die Kommunikation meistens schneller und besser. Schon allein durch den beständigen E-Mail-Kontakt zu allen Chartern.
Ende 2005 traf beispielsweise eine Mail auf unserem Clubrechner ein – aus Kanada. Hells Angels dort hatten einem Bullen fünftausend Dollar geboten, damit er sein Laptop mit polizeilichen Ermittlungsdaten rausrückte. Sie wollten wissen, welche aktuellen Polizeioperationen und Untersuchungen es gab. Dummerweise sang der Bulle bei seinen Kollegen. Dass dieser Versuch aufflog, war ein Einzelfall. In der Regel wurden solche Bestechungsversuche nicht bekannt, denn die Staatsmacht in Übersee war korrupt. Meistens bekam man, was man wollte – nämlich Informationen, die sowohl für die amerikanischen Brüder als auch für uns Europäer wichtig waren.
Per Mail wurden wir über die aktuellen Rivalitäten anderer Banden auf dem Laufenden gehalten, um notfalls unseren Brüdern schnell Hilfe zu schicken. Denn was in Deutschland der Krieg zwischen den Hells Angels und den Bandidos war, war in Übersee der Krieg zwischen den Hells Angels und den Pagans, einem dortigen Motorrad-Club, der eng mit den Bandidos kooperiert. Die Feindschaft der beiden Motorrad-Clubs stammt aus den Fünfzigerjahren.
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