Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus (German Edition)
angeliefert.
Das Hannoveraner Charter tat sich auch dabei be sonders hervor: Dessen Präsident besaß zu meiner Zeit keinen Führerschein. Bei diesem Charter kam es auch nicht selten vor, dass selbst bei Partys, die gerade einmal hundert Kilometer entfernt stattfanden, die Moppeds mit dem Laster angeliefert wurden. Der Lastwagen fuhr dann zwanzig bis dreißig Kilometer vor das eigentliche Ziel und hielt in einem abgelegenen Gewerbegebiet an, so gab es keine Zeugen für das Trauerspiel. Die Moppeds wurden rasch abgeladen, und die Biker fuhren damit los.
Einige der Rocker toppten das Ganze noch mit einer großartigen Nummer: Sie führten tatsächlich ein »Plastikschäufelchen« in der Seitentasche ihrer Kampfhose mit sich. Damit kratzten sie den Straßendreck zusammen, bepuderten ihr Bike und ihre Klamotten, dass sie schmutzig aussahen – als wären sie gerade Hunderte von Kilometern gefahren. Dumm war nur, wenn von zehn Bikes, die angeblich die gleiche Strecke gefahren waren, drei schmutzig und der Rest sauber waren. Damit war die Show aber noch lange nicht zu Ende, denn die harten Jungs mussten noch von ihren Bikes absteigen! Mit gequältem Gesicht hievten sie sich selbst herunter, die ersten Schritte waren phantastisch: Breitbeinig, mit Händen am Hintern – weil es ja so weh tat. Ein filmreifer Auftritt, jede Schauspielschule hätte sich um diese Jungs gerissen! Am Ziel angekommen, wurden erst einmal alle Brüder mit Handschlag begrüßt. Danach ging es zum Bierstand und zum Würstchengrill. Jetzt konnte die Party beginnen.
Jedes Wochenende finden weltweit bestimmt zwanzig Partys statt. Allein in Deutschland kann mindestens einmal pro Woche gefeiert werden: mal liegt ein Jahrestag an, mal wird ein Hangaround zum Prospect ernannt, mal ein Prospect zum Member. Und dann gibt es noch Weihnachts- und Neujahrsfeiern. Falls es gerade einmal keinen offiziellen Anlass gibt, sucht man eben einen, denn ein Hells Angel ohne Party ist kein Hells Angel.
Bei den Clubpartys wird zwischen internen und öffentlichen Partys unterschieden. Die öffentlichen Partys werden in Biker-Zeitschriften oder in Internet-Foren bekanntgegeben. Hier können alle möglichen Leute ins Clubhaus kommen – meist Mitglieder anderer Motorrad-Clubs, Frauen oder Biker-Freunde. In den größeren Städten, wie Hamburg, Berlin oder Frankfurt, kommen ab und zu auch Prominente zu den Veranstaltungen.
Ein Sympathisant der Hells Angels in Berlin ist beispielsweise Ben Becker. Am 15. September 2002 hielt er eine Lesung aus dem Buch Hell’s Angels – mein Leben von Sonny Barger in Berlin. Für die Presse posierte er zusammen mit dem Cluboberhaupt Barger vor den Kameras. Später, bei Partys, kam es vor, dass er mit den Hauptstadt-Brüdern im Member-Raum saß. Ich fand das nicht toll, weil dieser Raum allein Clubmitgliedern vorbehalten ist, doch die Berliner Hells Angels sahen das anders. Sie schätzten ihn, weil er mal das Lied »Hell’s Angel« geschrieben und gesungen hatte. Darin himmelte er uns geradezu an, zum Beispiel in Zeilen wie:
i’d love to be a
hells angel
[…]
wild und gefährlich
[…]
ich wär so gerne
ein hells angel
ich wär so gerne so wie du
Ben Becker, »Hell’s Angel®«, aus dem Album: Ben Becker and the Zero Tolerance Band, »Wir heben ab«, 2001 (Quelle: www.benbecker.de, verlegt bei Universal Publishing / Edition Dörte Becker / BMG UFA . © 2001 Sing Sing / BMG Berlin Musik GmbH)
Die öffentlichen Partys bringen jede Menge Geld, denn die Gäste müssen für alles zahlen: Essen, Getränke, bei einigen Chartern auch mal Mädchen und Drogen. Meist verkauften wir schon am Eingang Wertmarken für Speisen und Getränke, denn an den Theken wurde kein Bargeld entgegengenommen. So konnte niemand sagen, dass beispielsweise Wechselgeld falsch herausgegeben wurde oder dass er zu viel zahlen musste. Außerdem war diese Form der Abrechnung für die Bedienungen einfacher.
Bei den Feiern waren neben vielen vögelwilligen Frauen, die sich extrem aufgebrezelt hatten, immer auch Schmiermichel zugegen. Die Zivil-Bullen waren allerdings nicht immer einfach zu erkennen. Viele verkleideten sich, trugen lange fettige Haare und eine abgetragene Rocker-Kluft. Aber es gab auch einige, die
Lesung mit Ben Becker und Sonny Barger 2002 in Berlin (Quelle: imago)
mit Hemdchen von Polo und nagelneuer Lederjacke kamen. Bei einer Party im Kasseler Clubhaus hatte ich mal zwei von ihnen erwischt. Die standen in der Nähe der Tür
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