Höllenschlund
keine Antwort.
Verführt durch die Aussicht auf ein warmes Feuer, etwas zu trinken und weibliche Gesellschaft war der Kapitän mit den zwei Männern, die den Flusskahn stakten, an Land gegangen. Verbrechen kamen an diesem abgelegenen Teil des Flusses so gut wie überhaupt nicht vor, weshalb es auch niemand für notwendig hielt, die Boote in dieser kalten Nacht zu bewachen.
Der Beobachter lief den Steg hinauf und nahm die Hecklaterne an sich, um etwas sehen zu können, als er unter die aufgewölbte Plane kroch, die den mittleren Teil des Decks überspannte. Die Fracht bestand aus über zwei Dutzend Bündeln, die mit den Initialen TJ beschriftet waren. Er stellte die Laterne ab und machte sich daran, die Gepäckstücke und Kisten zu durchsuchen.
Mit einem Messer drückte er den Deckel einer Truhe auf und nahm eine Handvoll Papiere heraus, die darin ordentlich verstaut waren. Wie man ihm befohlen hatte, stopfte er die Dokumente in einen großen Sack und warf andere ans Flussufer. Wieder andere warf er ins Wasser, wo sie in der schnellen Strömung bald davongetrieben waren.
Der Mann war sichtlich zufrieden mit seinem Werk. Er warf noch einen kurzen Blick zu der lauten Taverne, dann schlich er sich über den Steg zum Ufer und verschmolz wie ein Geist mit der Dunkelheit.
Wenig später kehrte Jefferson mit ein paar Freunden nach Monticello zurück und sah, wie seine Haussklaven Kisten von einem Wagen luden, der in der Nähe der Säulen vor dem Eingang zu seinem Landsitz stand. Als er näher herangeritten war, erkannte er in einer stämmigen, bärtigen Gestalt den Kapitän des James-River-Bateaus wieder, mit dem man sein Gepäck von Washington herübergebracht hatte.
Er stieg vom Pferd und ging zum Wagen, doch in seiner Freude über das eingetroffene Gepäck bemerkte er nicht den betroffenen Gesichtsausdruck des Schiffers. Mit den Fingerknöcheln klopfte er gegen den Wagen. »Gute Arbeit, Kapitän. Wie ich sehe, ist alles sicher und unversehrt eingetroffen.«
Das runde Gesicht des Kapitäns legte sich wie ein überreifer Kürbis in Falten. »Ganz und gar nicht, wie ich zu meinem tiefsten Bedauern sagen muss, Sir«, murmelte er.
»Was soll das heißen?«
Der Kapitän schien immer mehr zusammenzuschrumpfen.
Jefferson überragte den Schiffer ein gutes Stück und hätte auch dann eine beeindruckende Gestalt abgegeben, wenn er kein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen wäre. Seine Augen schienen mit starker Leuchtkraft Löcher in den unglückseligen Kapitän zu bohren.
Während der Schiffer seine Geschichte erzählte, wrang er seinen Hut so fest, dass er ihn beinahe in Stücke gerissen hätte.
Während der letzten Etappe der Flussfahrt hinter Richmond war Jeffersons Truhe geplündert worden. Der Dieb hatte den Kahn bestiegen, als er am Ufer vertäut gewesen war und die Besatzung an Land geschlafen hatte, berichtete der Kapitän. Er reichte Jefferson ein paar schmutzige Papiere und erklärte, dass man sie später am Flussufer gefunden hatte.
Jefferson starrte auf das feuchte Bündel in seiner Hand.
»Sonst wurde nichts gestohlen?« Er war kaum in der Lage, die Worte herauszubringen.
»Nein, Sir.« Die Miene des Kapitäns hellte sich auf, als er den Silberstreif am Horizont sah. »Nur diese eine Truhe wurde ausgeräumt.«
Nur diese eine Truhe.
Die Worte hallten in Jeffersons Ohren nach, als wären sie in einer Höhle gesprochen worden.
»Sagen Sie mir, wo Sie das hier gefunden haben«, forderte er den Mann auf.
Wenig später galoppierten Jefferson und sein Freund davon. Sie ritten so lange, bis sie den Fluss erreichten, wo sie sich trennten, um das Ufer in beiden Richtungen abzusuchen. Nach gründlicher Erkundung des Geländes hatten sie einige weitere ans Ufer gespülte Papiere aus dem Wasser gefischt. Bis auf wenige Blätter waren die schlammbeschmierten Beispiele indianischen Vokabulars jedoch kaum noch zu entziffern.
Im folgenden Sommer wurde ein kleiner Dieb und Trunkenbold verhaftet und des Verbrechens angeklagt. Der Mann behauptete, von einem Fremden den Auftrag erhalten zu haben, die Papiere zu stehlen und vorzutäuschen, dass sie vernichtet worden seien.
Jefferson war froh, dass der Übeltäter gefasst worden war und vermutlich gehängt würde. Weiter interessierte er sich nicht für das Schicksal des Mannes. Der Schurke hatte ihm einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zugefügt. Jefferson hatte dringlichere Probleme, beispielsweise musste er sich um seine lange
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