Höllensog
Kopf und schaute mich an.
»Sie sind da, John, du hast recht gehabt. Ich habe sie gehört.«
»Die Stimmen deiner Eltern?«
»Ja, die von meinem Vater und meiner Mutter.«
»Auch andere?« Er nickte. »Kanntest du sie?«
»Es waren welche aus dem Dorf. Es waren alles bekannte Stimmen. Von Erwachsenen und Kindern.«
»Und was haben sie gesagt?« Auf die nächste Antwort war ich wahnsinnig gespannt. Sie konnte möglicherweise der erste Schritt zur Lösung des Falls bedeuten.
Der Junge preßte seine Fingerkuppen gegen die Stirn und schaute zu Boden. »Was haben sie gesagt?« wiederholte er murmelnd. »Ich weiß es nicht genau, nein, ich weiß es nicht.«
»Sie müssen doch etwas…«
»Doch ja…«
»Und?«
»Sie sprachen davon, daß sie noch da sind. Sie redeten durcheinander. Sie erzählten von ihrer Welt, und sie haben auch etwas von Magie gesagt. Ja, das haben sie.«
»Weiter!« drängte ich. »Haben sie dir nicht gesagt, ob sie zu uns kommen?«
»Nein, das haben sie nicht.«
»Gibt es denn eine Möglichkeit? Wenn wir den Fall lösen wollen, müssen wir zu ihnen. Hineintauchen in ihre Welt. Wir müssen sie dort treffen, mit ihnen reden…«
»Mit Geistern?«
»Ja, mit Geistern.«
»Ich weiß nicht, wie ich in ihre Welt gelangen soll. Sie haben auch nichts gesagt, aber sie sehen mich.«
»Sonst noch etwas?«
Gregor schüttelte den Kopf. Zu schnell für meinen Geschmack. Mir kam es vor, als würde er mir etwas sehr Wichtiges verschweigen. Ich überlegte, ob ich nachhaken sollte, ließ es jedoch bleiben und schnitt ein anderes Thema an. »Sie sind also nicht tot?«
»Sehen denn so Tote aus, John?«
»Wohl nicht. Es sind noch Gefangene einer anderen Dimension. Wobei ich mich frage, ob sie das für immer bleiben werden. Haben sie dir darüber etwas gesagt?«
»Überhaupt nicht.«
»Und von dem Kometen sprachen sie auch nicht?«
»Nein. Es war ein zu großes Durcheinander. Ich habe nur gehört, daß sie noch da sind.« Er schaute mich an. »So, John, und jetzt möchte ich allein sein.«
»Bitte?« Ich glaubte, mich verhört zu haben.
»Ja, ich möchte allein sein und nicht mehr sprechen.«
»Wie du willst, Gregor. Soll ich das Haus verlassen und mich draußen aufhalten?«
»Nein, du kannst bleiben.«
»Dann gehst du?«
Er nickte. »In mein Zimmer«, murmelte er. »Es liegt oben. Ich werde dort warten, daß sie sich wieder melden. Das tun sie bestimmt.«
»Wartest du nicht auf ihre Rückkehr?«
Mit dieser Frage mußte ich wohl einen Kern getroffen haben, aber ich bekam leider keine Antwort. Gregor hob die Schultern, bevor er aufstand und auf die Treppe zuging. Es waren simple Holzstufen mit einem Holzgeländer an der rechten Seite.
Der Junge schritt die Treppe wie ein alter Mann hoch. Müde und gebeugt. Eine Hand hatte er auf seinen Leib gepreßt, wie jemand, dem leicht übel war. Vom Ende der Treppe her schaute er noch einmal nach unten, dann drehte er sich hastig um und war sehr bald verschwunden.
Mich beunruhigte die Reaktion des Jungen. Sie war nicht normal.
Überhaupt war hier nichts normal. Er hätte nach dieser Entdeckung eigentlich ängstlich reagieren müssen, das aber hatte er nicht getan. Er war dafür ungewöhnlich nachdenklich geworden, als wäre ihm durch die Begegnung mit den Geistern seiner Eltern etwas klargeworden. Mir nicht.
Ich stand auf weichem Boden, trampelte, versuchte, einen Halt zu finden, kam aber nicht durch.
Der Junge kehrte nicht mehr zurück. Vier, fünf Minuten ließ ich verstreichen, bevor ich mich rührte. Ich saß noch immer in der großen Wohnküche und holte mein Kreuz hervor, gespannt darauf, ob es eine Reaktion zeigte. Da war nichts. Es flirrte nicht, es hatte sich nicht einmal erwärmt. Nahezu kühl und abweisend lag es auf meiner Handfläche.
Wahrscheinlich würde es mir in diesem Fall nicht helfen können.
Welche anderen Möglichkeiten hatte ich dann? So gut wie keine. Die andere Seite hielt alle Trümpfe. Sie konnte mich beobachten, was leider umgekehrt nicht der Fall war.
Ich streckte meine Arme in die Höhe und spürte sehr deutlich das Reißen in den Schultern. Dann stellte ich mich ans Fenster und schaute hinaus.
Die Luft hatte sich nicht verändert. Noch immer sah sie aus wie feine, aber feststehende Nebelschwaden. Milchig und dunstig zugleich. Fast vergleichbar mit einer Gewitterluft.
Etwas war auch vorhanden.
Es verdichtete sich.
Ich spürte es. Da war das Kribbeln, das über meine Haut lief. Und die mich umgebende Ruhe kam mir
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