Höllensog
zu.
»Dann… dann werden sie nie mehr zurückkehren. Dann gibt es keine Chance für alle.«
»Das will ich nicht sagen, Gregor.«
»Aber aus dem Reich der Toten ist noch keiner zurückgekehrt«, sagte der Junge nahezu gequält. »Die Seelen sind Gefangene in diesen Welten, das habe ich schon gehört, wenn sich die Erwachsenen unterhielten. Besonders die Alten haben immer vom Jenseits gesprochen und überlegt, was sie da erwartet.«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber du bist dir sicher, daß meine Eltern und die anderen Menschen aus dem Dorf dort sind? Bei den Toten…?« Seine Stimme hatte einen schrilleren Klang bekommen.
Ich winkte ab. »Beruhige dich, Gregor. Es gibt auch da gewisse Unterschiede.«
Er überlegte. »Welche denn, John? Du redest immer etwas daher, was ich nicht begreife.«
»Das schaffe ich ja selbst nicht. Sagen wir so, Gregor. Es gibt nicht nur eine Welt der Geister, sondern mehrere.«
»Wie viele denn?«
»Unzählige.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja. Und das ist nicht nur so dahergesagt. Um uns herum befinden sich eben noch andere Welten. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen. Akzeptiere es einfach.«
»Das muß ich ja wohl.«
»Klar.«
Gregor war durcheinander, das stand fest. Auch ich fühlte mich nicht eben wie glatt gebügelt. Es gab einfach zu viele Hindernisse auf dem Weg zur Lösung. Dabei war ich davon überzeugt, daß es eine Lösung geben mußte. Es geschah eben nichts grundlos. Etwas steckte immer dahinter, das stand fest. In diesem Fall hatte sich eine fremde Macht bereitgefunden, in diesen Kreislauf einzugreifen. Was auch immer da geschehen sein mochte, diese Macht hatte einen mit ihrer Kraft gefüllten Kometen geschickt, und wir standen nun vor dem Problem.
Wie in Trance hatte Gregor den Tisch leergeräumt. Dann ging er zum Fenster und schaute hinaus. Er brachte sein Gesicht dabei dicht an die Scheibe, als könnte er die Dinge, die sich um das Haus herum und auch im Ort abspielten, so besser erkennen. Aber die andere Seite, von der wir gesprochen hatten, blieb auch für ihn unsichtbar. Mit den Fingerkuppen trommelte er auf die Fensterbank. Er stand unter einem wahnsinnigen Druck und wußte nicht, wie er ihn loswerden sollte.
»Sollen wir hinausgehen?« fragte ich ihn. Die Frage mußte ich wiederholen, bevor ich bei ihm eine Reaktion erlebte. Er drehte sich sehr langsam um.
»Wo willst du denn hin?«
»Auf die Straße. Durch das Dorf. Wir könnten auch nach Spuren suchen, denke ich.«
»Finden wir denn welche?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Ist ja auch egal!« flüsterte er. »Hier im Haus fühle ich mich nicht mehr wohl. Jetzt denke ich immer daran, daß mich meine toten Eltern umgeben. Oder die Geister davon.«
»Das solltest du nicht denken, Gregor.«
»Ich kann aber nicht anders.« Er schluckte und hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken.
Meine Hand auf seiner Schulter sollte ihn etwas beruhigen. Dicht nebeneinander gingen wir zur Tür, die ich aufzog und auch als erster hinaus in die Hitze trat.
Sie lag über dem Dorf, aber sie hatte sich verändert.
Mir kam sie dichter und schwüler vor. Wie heißes Blei, das sich oberhalb der Löcher verteilt hatte. Die Luft war auch nicht mehr so klar. Wenn ich hoch zur Sonne schaute, sah ich den hellen Ball zwar am blauen Himmel stehen, doch er hatte an seiner Vorderseite einen milchigen Schatten bekommen, als läge vor ihm ein Dunstschleier.
Zudem war es ungewöhnlich still geworden. Noch stiller als bei unserer Ankunft. Es flog kein Vogel mehr über das Dorf hinweg, es sang auch keiner. Vom See her kroch ein leicht stechender Geruch heran, der sich auf meine Atemwege legte.
Ich stieß die Luft aus.
»Dir geht es nicht gut, wie?« fragte Gregor.
»Es ist warm.«
»Nur das?«
»Auch.«
Wir standen auf der Straße. Er faßte nach meiner Hand und drückte sie fest. »Was sonst noch, John? Sag es mir. Sag es mir bitte. Was ist denn noch?«
Längst hatte ich beschlossen, den Jungen wie einen Erwachsenen zu behandeln. »Es hat sich etwas verändert«, sagte ich, »spürst du es nicht? Merkst du nicht, daß es anders geworden ist? Die Luft ist so stickig. Sie ist dumpf…«
»Kehren die Geister zurück?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht…«
»Können wir sie denn sehen?«
Ich lächelte verkrampft. »Abwarten, mein Junge, aber es ist etwas geschehen.« Mehr wußte ich auch nicht. Gleichzeitig machte ich mir auch Sorgen um Suko und Wladimir. Sie waren auf den See hinausgefahren. Möglicherweise
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