Höllensog
Fremdes zu sehen, abgesehen von einem frühabendlichen Wolkenspiel, denn die langen Gegenstände lagen wie flache Schatten auf dem Himmel.
Die Sonne hatte die rotere Farbe bekommen. Sie ließ ihre Strahlen wie Blutstreifen über den Himmel wandern und schickte sie auch gegen die Wolken, so daß diese an ihren Rändern einen rötlichen Schimmer bekamen. Insgesamt war die Luft nicht klar. Noch immer kroch ein dünner Dunst über den Ort hinweg und verteilte sich auch in der unmittelbaren Umgebung auf den Feldern.
Gregor hielt den Kopf gesenkt. Er sprach nicht mehr. Die Hände hatte er in den Taschen seiner Hose vergraben. Ich ließ ihn auch in Ruhe. Was immer ich fragen würde, es lenkte ihn nur von seinen eigentlichen Problemen ab. Dem Höllensog würde ich schon früh genug begegnen.
Mich machte nur stutzig, daß er sich in der Nähe befinden sollte, wo ich ihn doch nicht sah.
War er zu spüren?
Mein Kreuz jedenfalls ›meldete‹ sich nicht. Das war nur einmal geschehen, als ich ziemlich nah an diesen Bogen herangekommen war und sogar seine Kälte gespürt hatte.
Wer immer diese Welt auch beherrschte, er hatte gelacht, und zwar so gelacht, daß sich diese Reaktion tief in die Erinnerung des Jungen hineingegraben hatte.
Eine Lache.
Eine, die ich kannte?
Bestimmt, denn der Lacher kannte auch mich.
»So, jetzt sind wir gleich da.« Gregors Stimme unterbrach meine Gedanken, aber ich sah nichts, so intensiv ich mich auch umschaute.
Die Gegend um mich herum war völlig normal. Nicht weit entfernt standen drei baufällige Schuppen, ansonsten hielten wir uns auf einem Feld auf, das ebenfalls mit Unkraut überwuchert war.
»Ist es wirklich hier?«
»Du kannst dich auf mich verlassen, John. Ich spüre es schon.« Gregor streckte die Arme aus. Ich schaute zu, wie sich seine Haut mit einem Schauer bedeckte, wie die feinen Härchen zitterten und er seine Augen weit geöffnet hielt.
Doch, auch ich spürte etwas.
Die Hitze war nicht mehr so stark. Auch der Staubgeruch war verschwunden. Die Luft roch klarer. Aus einer nicht meßbaren Ferne vernahm ich zahlreiche Stimmen.
Gregor stand vor mir.
Er schaute mich an, ich blickte in sein Gesicht, das sich veränderte, wie auch die Gestalt. Gregor war nicht mehr Herr über seinen eigenen Körper. Er fiel zurück, als wäre er von einem Band gezogen, das an seinem Rücken befestigt war. Aber er prallte nicht zu Boden, sondern schwebte allmählich davon, sich dabei in der Schräglage haltend.
»He, Gregor, was…?«
Da erwischte es auch mich.
Es war wie ein Stoß und eine Klammer zugleich. Ich hörte das Rauschen und Heulen, das über mich kam wie ein gewaltiger Sturmwind. Irgendwo hatte ich auch den Gedanken, mich fest gegen den Boden stemmen zu müssen, um der anderen Kraft zu entwischen.
Ich tat es, nur war es vergebens.
Die andere Kraft war stärker. Der Höllensog zog mich, den Menschen, in sein Zentrum, und ich verabschiedete mich von der normalen Welt…
***
Ihre Gesichter glichen nur mehr Zerrbildern der Normalität. Beide Männer hatten das fast Unmögliche geschafft und waren nur mit Hilfe ihrer Hände an das Seeufer ›herangerudert‹. Als das Boot die ersten Rohre des Schilfgürtels berührte, waren beide geschafft und ließen sich nach vorn fallen, wobei ihr Boot von der letzten ›Paddelkraft‹ noch gegen die Rohre getrieben wurde.
Suko und Wladimir lagen wie tot auf den nassen Planken. Der Russe stöhnte bei jedem Atemzug. Er hatte soviel Schweiß verloren, daß er sich ausgetrocknet fühlte wie ein alter Schwamm, und Suko erging es kaum besser. Auch er brauchte eine Pause, denn nach dieser Erschöpfung konnte einfach keine Freude mehr aufkommen.
Sie blieben liegen. Das Boot dümpelte schwach auf den leichten Wellen.
Manchmal kratzten die Rohre gegen die Bordwände, und beide Männer interessierte der Fall im Moment nicht. Sie mußten erst wieder zu Kräften kommen.
Es war Suko, der sich aufstützte. Er blieb in einer knienden Haltung, beide Hände flach auf die Oberschenkel gestützt. Er schaute über den liegenden Wladimir Golenkow hinweg auf den dichten Gürtel aus Schilf und Pflanzen, den sie noch durchqueren mußten. Das aber nicht im Boot, denn das Gewässer war an dieser Stelle flach.
»Wahnsinn!« hörte er Wladimir keuchend und hustend sprechen.
»Wahnsinn, was wir da hinter uns haben.«
»Das stählt fürs Leben.«
»Aber nur einmal.«
»Warte es ab.«
Der Russe richtete sich wieder auf. Seine Bewegungen waren mehr als träge, und
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