Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
ich weiter . Vielleicht hat ihnen jemand den Waffengebrauch untersagt. Ich wollte mir vorstellen, welche Auswirkungen es auf politischer Ebene hätte, wenn sie ein paar somalische Piraten erschossen, aber mein Hirn war zu erschöpft, um noch logisch denken zu können. Später erfuhr ich, dass die Soldaten auf der Bainbridge mit ihrer Überwachungstechnologie zwar verfolgt hatten, wie sich der Zwischenfall entwickelte, dass sie aber gedacht hätten, die Piraten seien ins Wasser gesprungen, um sich zu erfrischen. Als sie endlich einen weißen Schopf im Wasser sahen und erkannten, dass ich es war, war es schon zu spät gewesen, um noch einzugreifen.
Alle waren erschöpft. Ich war eingewickelt wie ein Rollbraten und die Piraten lagen herum, hielten aber die Waffen auf mich gerichtet. Der Anführer wusste offenbar genau, wie er ihnen richtig Angst einjagen konnte. Es war mir unmöglich mich auch nur einen Zentimeter bewegen, ohne dass einer sofort den Kopf hob und eine Taschenlampe auf mich richtete, um zu sehen, was ich machte.
Young Guy hatte bis dahin eher eine Nebenrolle gespielt. Er war für nichts Bestimmtes zuständig, sondern befolgte nur Befehle. Jetzt kam er herüber und setzte sich mir gegenüber. Ich saß auf dem Backbordsitz Nummer drei, er auf dem Steuerbordsitz Nummer drei. Ich beobachtete ihn, bis er sich gesetzt hatte, dann wandte ich den Blick ab.
Klick .
Ich schaute wieder zu ihm hinüber. Er hatte die AK in den Schoß gelegt und schaute mich an.
Klick .
Die Mündung hielt er auf mich gerichtet. Mir war klar, dass die Waffe nicht geladen war. Trotzdem – wenn jemand mit einer Waffe auf einen zielt und ständig den Abzug drückt, wird man nervös, auch wenn sie nicht geladen ist. Ich rutschte unruhig hin und her.
Young Guy starrte mich an, als sei ich eine Laborratte. Er studierte mich mit eiskalten Augen. Sein Blick war tot – ich hatte noch nie solche Augen gesehen. Er blickte mich an wie ein junger Bursche, der nicht wusste, was er eigentlich tat, der keine Ahnung hatte, was Leben oder Tod bedeutet. Vor dem Fluchtversuch hätte mich Young Guy nicht so angesehen, aber jetzt hatte er offenbar die Erlaubnis, mich wie Abschaum zu behandeln. Etwas in ihm hatte sich bedrohlich verändert. Und in mir hatte sich auch etwas verändert.
Ich bin ein großer John-Wayne-Fan, und jetzt fiel mir auch wieder eine Zeile aus einem seiner Filme ein, Der Schwarze Falke (1956). Ein Cowboy will sich rechtfertigen, weil er einen Desperado erschossen hat. Nach meiner Erinnerung antwortet John Wayne: »Schon in Ordnung. Ein Mann muss eben auch mal töten.«
Ich hatte noch nie einen Mann kennen gelernt, der »eben auch mal töten muss«. Aber Young Guy war wohl so einer. Er war wie ein Killer, der aus Spaß noch ein wenig mit seinem Opfer spielt, bevor er es aus seinem Elend erlöst. Young Guy jedenfalls hatte offensichtlich einen Riesenspaß daran.
Das trieb er ungefähr zwanzig Minuten lang so. Ich versuchte, ihn so wenig wie möglich zu beachten, aber natürlich blickte ich trotzdem ziemlich häufig kurz zu ihm hinüber. Das gefiel ihm ganz besonders. Aber der Ausdruck in seinen Augen blieb absolut gefühllos. Er wollte mich nur in Panik versetzen, er wartete auf eine Reaktion und wollte aus nächster Nähe sehen, wie mich der blanke Horror endlich packte.
Die Sonne ging auf und schaltete den Backofen im Boot wieder an. Die Piraten redeten über Funk mit dem Dolmetscher. Ich hörte, dass sich wieder ein Beiboot näherte.
Wunderbar, dachte ich , gleich gibt’s noch mehr Pop-Tarts. Und so war es auch. Pop-Tarts und neue Batterien für das Funkgerät. Und Wasser. Ich konnte es kaum fassen.
Ein Blick durch eine der Luken zeigte mir, dass die Maersk Alabama nicht mehr an der Stelle lag, an der sie gestern geankert hatte. Ihr Ankerplatz hatte ungefähr eine oder zwei Meilen hinter dem Kriegsschiff gelegen. Ich ließ den Blick über den Horizont schweifen und erkannte, dass sie davongefahren war. Große Erleichterung überkam mich, denn die Jungs würden bald in Sicherheit sein.
Später erfuhr ich, dass Shane sich geweigert hatte, ohne mich abzufahren. Er sagte, er hätte alles getan, nur eins nicht: ohne mich abzufahren. Aber die Navy hatte darauf bestanden, weil noch andere Piraten in der Gegend waren und sie keine weitere Geiselnahme riskierten wollten. Achtzehn bewaffnete Soldaten gingen an Bord der Maersk Alabama , die nun Kurs auf unseren planmäßigen Zielhafen Mombasa nahm.
Der Anführer blieb im Cockpit.
Weitere Kostenlose Bücher