Höllental: Psychothriller
sie schließlich mit ihrem Plan, das Wirtschaftsstudium zu schmeißen und sich stattdessen für Kunst einzuschreiben, konfrontiert hatte, war sein Temperament völlig mit ihm durchgegangen. Mit seinem Geld hatte er sie erpresst und damit einen Graben gezogen, der tiefer nicht hätte sein können. Aber Laura konnte auch so verflucht dickköpfig sein, so uneinsichtig und manchmal auch … ja, dumm. Kein Gespür für Geld, kein Blick für die Zukunft, immer nur im Hier und Jetzt, ohne Konsequenzen, weil Papas Geld ja alles richtete.
Friedhelm seufzte.
Er rieb sich die linke Brustseite. Der Schmerz darin würde nicht vergehen, denn streng genommen war es keiner. Es war Schuld, und egal, was die Prediger sagten, von Schuld konnte man nicht erlöst werden. Denn der Einzige, der sie vergeben konnte, trug sie in sich.
Friedhelm wusste, dass er den Rest seines Lebens mit einer Schuld würde zurechtkommen müssen, die kaum zu ertragen war. Vielleicht würde es ihm ein wenig Erleichterung verschaffen, wenn er jetzt, wo es zu spät war, herausfinden würde, was Laura zugestoßen war, was sie so verändert und letztendlich in den Tod getrieben hatte. Vielleicht gab es sogar jemanden, den er dafür zur Rechenschaft ziehen konnte.
Es gab immer jemanden.
Er schlug eine Seite in dem Album um. Winterfotos. Laura als Siebenjährige in einem dicken Schneeanzug auf dem zugefrorenen See in der Nähe ihres Hauses. Sie war selbst im Winter immer gern draußen gewesen.
Es klopfte sacht an der Tür zu seinem Büro.
Friedhelm sah auf den Digitalwecker am Rand des Schreibtisches. Einundzwanzig Uhr vorbei.
»Ja«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel die Wangen trocken.
Die Tür öffnete und schloss sich. Kurz darauf erschien seine Frau im Lichtkreis der Schreibtischlampe. Eine gebückte alte Frau, durchscheinend und verblassend. Eine Sekunde lang war sich Friedhelm sicher, dass er sie ebenfalls verlieren würde, vielleicht schon verloren hatte und vor sich nur ihren Geist sah, während ihr Körper oben im Schlafzimmer seit drei Stunden erkaltete.
Dieser erschreckende Gedanke verschwand, als sie zu sprechen begann.
»Was machst du?«, fragte Petra Waider mit brüchiger Stimme.
Friedhelm stand auf, kam um den Schreibtisch herum, nahm sie in die Arme und hielt sie einen Moment fest. Er wollte nicht, dass sie das Fotoalbum sah.
Er führte seine Frau mit sanftem Druck zur ledernen Sitzecke vor dem großen Erkerfenster an der rechten Seite.
»Soll ich dir einen Tee bringen?«
Vor einer Woche noch hätte er sie das nicht gefragt. Vor einer Woche war es ihre Aufgabe gewesen, ihn zu bedienen. Der Tod änderte vieles, auch die scheinbar so unbedeutenden Kleinigkeiten.
»Nein, im Moment nicht. Danke. Ich möchte mit dir reden. Jetzt.«
Das Jetzt klang sehr bestimmend. Es klang wie ein Befehl. Friedhelm Waider legte die Stirn in Falten, trat einen Schritt zurück und sah seine Frau an.
»Ist etwas passiert?« Nachdem die Worte heraus waren, spürte er selbst, wie dumm sie waren.
Dementsprechend vorwurfsvoll war auch Petras Blick. »Setz dich bitte zu mir«, sagte sie noch im Stehen. »Ich habe den ganzen Tag mit mir gerungen, ob ich es dir erzählen soll. Aber ich denke, du sollst … Nein, du musst es wissen. Also setz dich bitte und hör mir zu.«
Sie blickte aus großen feuchten Augen zu ihm hinauf.
Friedhelm Waider schluckte den trockenen Klo ß im Hals runter und folgte wortlos ihrer Aufforderung. Beide nahmen in den großen, beinahe überbordenden Sesseln Platz, sodass sie sich gegenübersaßen und sich ansehen konnten. Das Licht vom Schreibtisch reichte aus. Es zeichnete tiefe Schatten und eine graue Farbe in ihre Gesichter. Es war das richtige Licht zur richtigen Zeit.
Friedhelm sagte nichts. Er schluckte abermals und versuchte sich vorzubereiten. Er hatte Angst vor dem, was seine Frau ihm zu erzählen gedachte. Warum, wusste er nicht, es war eben so.
»Wir haben Fehler gemacht, wir beide. Ich weiß, dass du es weißt und darunter ebenso leidest wie ich, aber darüber will ich heute nicht mit dir sprechen«, begann Petra mit leiser Stimme; allein diese aufrechtzuerhalten schien sie große Kraft zu kosten. »Ich habe dich hintergangen.«
Sie machte eine kurze Pause, scheinbar, um erneut Kraft zu sammeln. In dieser Pause setzte Friedhelms Herz aus und kam erst mühsam stolpernd wieder in Gang, als seine Frau weitersprach – und zwar nicht über Trennung.
»Ich habe dich in finanzieller Hinsicht betrogen, Friedhelm. Dass
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