Höllental: Psychothriller
nicht sofort reagierte, schoss seine rechte Hand mit unglaublicher Geschwindigkeit hervor und entriss ihr den Brief.
»Hey!«, rief Mara, unternahm aber keinen Versuch, das Blatt zurückzubekommen.
Sie beobachtete ihn. Seine kleinen blauen Augen huschten über die Zeilen. Die Hand, die den Brief hielt, zitterte. Außerdem standen Schweißtropfen auf seiner Stirn. Mara fand, dass Torben Sand sich verändert hatte. Wo waren seine Ruhe und Gelassenheit geblieben?
Er ließ den Brief sinken, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Innentasche seiner Jacke.
»He, was soll das? Der Brief gehört Ihnen nicht. Ich glaube nicht, dass …«
Torben Sand hob den Blick, und Mara verstummte.
»Wo ist das?«, fragte er mit tonloser Stimme.
Mara ging einen Schritt zurück. Sie hatte plötzlich den Eindruck, dass ein völlig anderer Mann vor ihr stand als der, mit dem sie gekommen war. Sie erkannte, dass sie überhaupt nichts wusste über Torben Sand. Nur das, was er selbst über sich erzählt hatte.
»Ich verstehe nicht, was …«
Seine Hand schoss vor und klatschte ihr flach ins Gesicht. Maras Kopf wurde herumgeschleudert, sie stolperte, fiel über den Glastisch und auf der anderen Seite zu Boden. Es war ein schneller, harter Schlag, der ihr für Sekunden die Sinne raubte. Als der Sturm in ihrem Kopf sich legte und sie wieder klar sehen konnte, stand Torben Sand bedrohlich über ihr.
Sein dickes Gesicht war gerötet und wirkte noch aufgedunsener. Seine kleinen Augen sprühten vor Hass.
»Wo ist dieser Ort, von dem Laura schreibt?«, wiederholte er seine Frage schreiend.
Dann war er auf ihr, presste sie mit seinem Gewicht gegen den Boden und presste ihr die Luft aus den Lungen. Er hockte rittlings auf Maras Brustkorb. Sie versuchte sich zu wehren, zappelte, trat mit den Beinen, konnte sich aber nicht befreien. Torben Sands Hände legten sich um ihren Hals und drückten zu. Sofort war die Luftröhre dicht. Mara riss den Mund auf, rang nach Luft, doch in ihrer Lunge kam nichts an. Sie versuchte sein Gesicht zu erreichen, seine Augen, kam jedoch nicht heran. Wirkungslos kratzte sie an dem festen Stoff seiner Jacke. Sie trat mit den Beinen, schlug ihre Knie gegen seinen Rücken. Torben aber blieb auf ihr und würgte sie.
»Sag mir, wo das ist.«
Sie wollte es ihm sagen, doch sie konnte nicht. Schon legte sich ein Schleier über ihren Blick. In einem verzweifelten Akt bäumte sie ihren Oberkörper auf, aber ihre Kraft reichte nicht, um diesen schweren Mann auch nur ins Wanken zu bringen.
In diesem Moment begriff Mara, dass sie sterben würde. Sie begriff nur nicht, warum.
Immer langsamer und schwächer schlugen ihre Fersen auf den Teppichboden. Ihre Augen quollen aus den Höhlen, ihre Finger rutschten an seinen Schultern herab. Die Hände an ihrem Hals ließen einfach nicht locker, drückten immer kräftiger zu. Über sich sah Mara dieses hasserfüllte Gesicht, von dem Schweiß auf sie heruntertropfte. Sie drehte ihren Kopf auf die Seite, wollte nicht mit diesem Anblick vor Augen sterben.
Dem Tode nahe sah sie eine geisterhafte Gestalt im Türrahmen zum Wohnzimmer.
Laura.
Wie ein Tiger in einem zu kleinen Käfig lief Roman Jäger in seiner Küche auf und ab. Immer wieder drückte er die Wahlwiederholung, immer wieder brach er die Verbindung ab, bevor die Mailbox sich meldete. In gleichbleibendem Rhythmus versuchte er es bei Mara und Torben Sand. Immer wieder mit dem gleichen Ergebnis: Niemand nahm ab. So ging es seit Leitenbachers Anruf, und der lag bereits zehn Minuten zurück.
Roman wurde immer nervöser.
Er verstand nicht, was vor sich ging. Wieso sagte Leitenbacher, es gäbe keinen Privatdetektiv namens Torben Sand? Dass Frau Waider nichts von solchen Aktivitäten wusste, war ja leicht zu erklären. Aber der schwerreiche Unternehmer Waider würde sich in seiner Not doch nicht an irgendeinen Wald-und Wiesendetektiv ohne Ausbildung und Zulassung gewandt haben. Oder? Waider war es vor allem um Diskretion gegangen, und Diskretion konnte er nur von einer seriösen Agentur erwarten.
Roman dachte nach, kramte in seiner Erinnerung, ließ ein paar Eindrücke und Bilder Revue passieren.
Der Tag der Beerdigung. Auf dem Friedhof. Da war ihm Sand schon aufgefallen, bevor Roman wusste, wer der große kahlköpfige Mann war. Genau wie Roman war er zwischen den Gräbern herumgeschlichen und hatte die eintreffenden Gäste beobachtet. Später, am Tor, als Friedhelm Waider ihn beiseitegezogen hatte, um mit ihm unter vier Augen
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