Höllische Versuchung
schlugen dem Vampir in den Schädel.
Er sprang.
Mit einem Hagelschauer aus Feuer und Kugeln verfolgte ich den Sprung des Blutsaugers.
Ich konnte den Lauf des Gewehrs noch gerade rechtzeitig hochreißen, als Raphael sich von hinten auf ihn stürzte. Der Vampir brach unter ihm zusammen. Meine Kugeln hatten ihm offenbar das Gehirn zermalmt. Raphael packte ihn am Kinn und entblößte seinen Hals. Ein Messerblitzen und im nächsten Augenblick segelte der Kopf des Untoten durchs Zimmer.
Ich lud rasch nach. Der Vampir war ungelenkt gewesen. Man hatte es an dem wirren Blick gesehen. Zudem hatte er sich blindlings auf mich gestürzt, obwohl wir zu zweit waren. Spinnen-Lynn war schon weg. Den Vampir hatte sie uns noch als Abschiedsgeschenk dagelassen.
Nach zehn Minuten hatten wir auch den Rest des Hauses inspiziert. Wie erwartet war es leer. Es hätte mich auch gewundert, wenn sie noch einen weiteren Vampir geopfert hätte. Zumindest fanden wir den Generator und ich stellte ihn ab. Somit hatte auch der Zaun keinen Saft mehr.
Wir kehrten zur Leiche zurück. Alex lag auf der Seite, hingeworfen wie ein alter Lappen. Der Tod hatte ihn seiner Wärme beraubt, doch waren in seinem Gesicht noch Spuren seiner Persönlichkeit auszumachen: Lachfältchen um die Augen, ein markantes Kinn, eine breite, hohe Stirn. Das Haar war schlohweiß und reichte ihm bis auf die Schultern. Neben ihm lag etwas Kleines, Grünes. Ich hob es auf. Ein Spielzeugauto. Seltsam. Ich steckte es ein.
Wir mussten die Leiche von diesem scheußlichen Ort wegschaffen. Raphael berührte die Kette um Alex’ Knöchel und zuckte zurück. Eine Silberlegierung.
Die Kette war fest um seine Fesseln gebunden. Von uns würde sie keiner losbekommen, ohne sich die Haut von den Fingern zu brennen. Ich riss ein Stück aus der Sofapolsterung, wickelte es um den Pfahl, an dem die Kette befestigt war und zerrte kräftig daran. Der Pfahl bewegte sich keinen Millimeter.
»Lass mich mal.«
Raphael packte die Stange. Die Adern in seinem Gesicht traten hervor, als er sie aus dem Boden riss. Er warf sich Alex’ Leiche über die Schulter, die Kette ließ er einfach hinter sich her schleifen. Besser ging es eben nicht.
Wir brauchten drei Stunden, um durch die Stadt zu kommen. Erst mussten wir noch das verfallene Industriegebiet durchqueren, bis wir Atlanta endlich hinter uns lassen konnten. Statt Trümmer rauschten nun Wälder an uns vorbei. Die Straßen wurden unwegsamer. Keiner von uns sagte ein Wort. Die in Tücher gewickelte Leiche auf dem Rücksitz hielt mich vom Plaudern ab und Raphael war ganz in Gedanken versunken.
Eine kühle Brise wehte uns entgegen. Die Nacht war erfüllt von Düften und schien sich in grenzenlose Weite zu erstrecken. Über uns am Himmel funkelten die Sterne, ungerührt von unseren kleinen, irdischen Problemen.
Eine halbe Stunde später bogen wir in einen Schotterweg ab und tauchten in dichten Wald ein. Hinter einer jähen Biegung kam ein einfaches Ranchhaus in Sicht. Das Haus der Bouda. Normalerweise tobte hier das Leben. Im Wald trieben die Wachen ihr Unwesen und von überallher war irrsinniges Lachen zu vernehmen, durchmischt mit orgiastischem Stöhnen und Fauchen. Doch nun war alles still. Zwar hatte Raphael mir gesagt, dass alle gegangen seien, um Tante B in Ruhe trauern zu lassen, doch bis jetzt hatte ich es mir nicht richtig vorstellen können.
Auf der Veranda wartete eine Frau auf uns, die Hände vor der Brust gefaltet. Sie war mittleren Alters und mollig, das Haar hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt. In ihr ansonsten so fröhliches Gesicht hatten sich tiefe Sorgenfalten gegraben. Sie kam mir vor wie eine junge Oma, der gerade aufgefallen war, dass der Schulbus ihres Enkels bereits zehn Minuten Verspätung hatte.
Wir parkten den Jeep. Raphael sprang heraus und nahm behutsam die Leiche. Alex’ weißes Haar hing über Raphaels zottigem Arm. Schweigend beobachtete Tante B wie ein Ungetüm, welches ihr Sohn und mein Gefährte war, ihren toten Liebhaber auf den Armen trug und ihn ihr darbot. Ein einziges Wort entwich seinem monströsen Maul: »Mutter … «
Mit zitternden Lippen sank Tante B gegen eine Säule. Ihre Schultern bebten und sie schlug die Hand vor den Mund. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie gab keinen einzigen Schluchzer von sich. Sie stand einfach da und weinte lautlos, von Trauer verzehrt.
Wie sollte ich mich nur verhalten? Schließlich war sie das Alphaweibchen des Bouda-Clans. Alphas zeigten keine … sie zeigten
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