Höllische Versuchung
mit einem Finger auf das Buch. »Was wissen wir bislang? Spinnen-Lynn ist unheilbar krank. Sie ist besessen von den Äpfeln der Unsterblichkeit, wohl weil sie glaubt, sie könnten sie heilen. Aus unerfindlichen Gründen hält sie Alex Doulos’ Schatten gefangen. Alex war der Priester des Hades.«
»Hades raubte Persephone. Die ihrerseits war die Tochter Demeters, der Göttin der Fruchtbarkeit und Ernte, die über die Jahreszeiten gebot, was sich auch auf Heras goldene Äpfel auswirkte. Es ist so ein bisschen wie bei diesem Kleine-Welt-Phänomen, jeder kennt jeden über sechs Ecken.« Er blätterte die Seiten durch. »Hier steht, dass die Äpfel den Göttern als Nahrung dienten. Die Äpfel und Ambrosia verliehen ihnen ewige Jugend und Unsterblichkeit. Was meinst du, was passiert, wenn dieses Miststück davon isst?«
»Bestimmt nichts Gutes.« Also hatten wir uns während des Flairs mit zwei Möchtegern-Göttern herumgeschlagen. Davon würde ich noch eine ganze Weile Albträume haben und Raphaels Gesicht nach zu urteilen, war er auch nicht gerade scharf auf eine Fortsetzung.
»Wir müssen in das Haus einbrechen.«
»Ja«, sagte Raphael mit finsterer Miene.
Wir mussten also in ein Haus mit Elektrozaun und massivem Wehr dringen, das von einem riesigen Höllenhund bewacht wurde und in dessen Innerem sich mindestens drei Vampire befanden, die von einer Frau gelenkt wurden, die außer sich vor Wut war und zudem Angst vor dem Sterben hatte.
Na, zum Glück hatte ich ja Boom Baby auf meiner Seite.
Wir standen gegen den Jeep gelehnt am äußersten Rand von Cerberus’ Territorium und warteten darauf, dass die Magie abebbte. Raphael war noch immer in das Buch über griechische Mythologie vertieft. Beim Lesen spielte er gedankenverloren mit einem kleinen Messer herum. Er ließ es durch die Finger der linken Hand gleiten: Spitze, Griff, Spitze, Griff. Die untergehende Sonne tauchte den bleichen Himmel in ein blutiges Orange. Prüfend sog ich die Abendluft ein und tätschelte meine Riesenwumme.
Als Profi musste man sich den eigenen Ängsten unweigerlich stellen. Man rang so lange mit den inneren Schreckgespenstern, bis man sie gebändigt hatte und zum eigenen Vorteil nutzen konnte. Es schärfte die Wachsamkeit und half einem, am Leben zu bleiben. Doch wie sehr man sich auch abmühte, die Ängste in Schach zu halten, sie nagten dennoch an einem. Ich wollte nicht in ein Haus voller Vampire eindringen. Und schon gar nicht wollte ich, dass Raphael verletzt wurde.
Mit aller Macht hatte ich mich gegen meine Gefühle für ihn gewehrt und war ihnen nun doch erlegen, und jetzt, da ich einmal mit ihm zusammen gewesen und neben ihm aufgewacht war, wusste ich, dass es zwischen uns eine Verbindung gab. Sie war noch zart und zerbrechlich, aber um sie zu schützen, würde ich auch hundert Vampirkehlen aufschlitzen.
»Du bist meine Artemis«, sagte Raphael.
Ich blinzelte ihn verwirrt an.
»Eine wunderschöne, wilde und stachelige Jägerin, unnachgiebig und von ewiger Reinheit.«
Stachelig? Wohl eher kratzbürstig. »So rein bin ich aber nicht.«
Er beugte sich zu mir herüber. Mit der Hand strich er mir leicht über den Nacken und biss mich sanft. Eine kribbelnde Wärme jagte durch meinen gesamten Körper. Meine Brustwarzen wurden hart und in meinem Unterleib breitete sich eine feurige Hitze aus.
Sanft und verführerisch klang seine Stimme in meinem Ohr. »Weit und breit gibt es hier niemanden, der uns beobachten könnte, aber du errötest. Wenn das keine Reinheit ist.«
Sein Lächeln jedenfalls war rein – rein sündhaft. Ich rückte näher an ihn heran, lehnte gegen seine Brust und ließ meinen Kopf zurück gegen seine Schulter fallen. Überrascht erstarrte er, doch ich kuschelte mich nur noch dichter an ihn, sog die Wärme seines Körpers mit meinem Rücken auf. Er legte den Arm um meine Schultern. Ich konzentrierte mich auf sein Herz. Es schlug kräftig und regelmäßig, aber ein wenig schnell. Er hatte also auch Angst.
»Wenn wir lebend und unverletzt aus dieser Sache herauskommen, möchtest du dann bei mir übernachten oder soll ich lieber zu dir mitkommen?«
»Mir ist beides recht«, sagte er sanft.
Dass ich ihn sechs Monate lang hatte abblitzen lassen, war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Es würde eine ganze Weile dauern, bis ich ihn davon überzeugt hatte, dass er nicht rund um die Uhr charmant, witzig und sexy zu sein brauchte. Im Grunde hatte ich gehofft, dass der Sex alles richten würde. Doch letztendlich
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