Hörig (German Edition)
früheren Jahren zur Sprache kommen.»
Gerda Winzens Mann schloss die Tür hinter ihnen. Dorothea lief gleich zum Aufzug hinüber. Auf dem Weg nach unten meinte sie: «Das hätte ich dir vorher sagen können. Und was machen wir jetzt?»
Edmund wusste es nicht. Ehe sie das Haus verließen, warf er eine seiner Visitenkarten in den Briefkasten der Familie Winzen. Dann fuhr er Dorothea zurück nach Frechen-Königsdorf und ging noch kurz mit hinein.
Dorotheas Tochter lag zusammengerollt wie ein Kätzchen in einem Sessel und schlief. Paul saß auf der Couch und schaute ihnen gespannt entgegen. Es gab nichts zu erklären, nur ein Achselzucken und die Bitte: «Kann ich deine Pistole haben?»
Paul besaß eine, das wusste Edmund von Patrizia, ein altes Ding aus dem Zweiten Weltkrieg, noch voll funktionsfähig. Munition für das Schätzchen besaß Paul auch, aber er starrte ihn nur an, als habe er nicht verstanden.
Aus Dorotheas Augen schossen Eiszapfen eine Zurechtweisung ab.
Halt bloß den Mund, du Idiot, du weißt doch, wie er ist
.
«Meine ist nicht in Ordnung», behauptete Edmund. Er war müde, fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. «Der Abzug klemmt. Ich wollte sie schon vor Monaten zur Reparatur bringen, aber ich bin nicht dazu gekommen.»
Jetzt nickte Paul. «Da muss ich mal nachsehen. Ich weiß im Moment gar nicht, wo ich das Ding hingelegt habe. Aber es ist in Ordnung, darauf kannst du dich verlassen.» Dann kam noch ein grimmiges «Schieß das Schwein über den Haufen» hinterher.
Erst mal finden, dachte Edmund.
Er fuhr heim. Als er das Haus betrat, hoffte er für einen winzigen Moment, Patrizia sei daheim. Verwirrt, verstört, weinend, schluchzend, verzweifelt.
Ich habe Heiko erschossen, Eddi.
Ist nicht schlimm, Schatz, deshalb musst du nicht weinen. Du musst auch keine Angst haben. Die Polizei wird denken, sein Komplize hätte es getan.
Aber natürlich war sie nicht da, und er war wirklich sehr müde, konnte nicht einmal mehr denken. Worüber hätte er sich auch noch den Kopf zerbrechen sollen? Patrizia hatte das Scheusal nicht abgeknallt wie einen räudigen Straßenköter. Der Himmel allein mochte wissen, warum sie seine Pistole überhaupt mitgenommen hatte. Vielleicht um sie Schramm in die Finger zu drücken.
Hier, mein Herz, du kannst so etwas sicher gut gebrauchen. Dann musst du dir beim nächsten Überfall nicht deine Hände blutig schlagen.
Bis kurz nach zwei blieb Patrizia auf dem Stuhl in der Werkstatt sitzen, das Feuerzeug fest in einer Hand, den Blick unverwandt auf den schwarzen Schacht des Treppenaufgangs gerichtet, obwohl sie den in der Dunkelheit hinter der offenen Tür nur erahnen konnte. Dann erhob sie sich, wieder mit beiden Händen auf dem Sitz abgestützt. Sie war lahm und steif vom langen Sitzen. Und ein bisschen tot von der Hilflosigkeit und den Schuldgefühlen.
Aber das gab sich, noch bevor sie die Treppe zur Hälfte bewältigt hatte. Da hämmerte ihr Herz in der Brust, dass sie kaum noch genug Luft bekam. Sie musste eine Pause einlegen. Als sie die Diele erreichte, hatte ihr Puls sich wieder halbwegs normalisiert. Aber ihr Blutdruck musste in astronomische Höhen gestiegen sein und verursachte anscheinend akustische Halluzinationen. Sie meinte, etwas wie Kettenrasseln zu hören, und das auch noch gedämpft, als seien ihre Ohren mit Watte verstopft.
In der Diele war es nicht gar so finster wie im Keller, weil die Wohnzimmertür immer noch offen stand und auf der Terrasse vier Solarleuchten standen, die schwaches Licht verbreiteten. Es reichte bei weitem nicht, um das Wohnzimmer durch die Terrassentür aufzuhellen, aber es nahm der Dunkelheit etwas von ihrer undurchdringlichen Schwärze und ließ Konturen erahnen.
Die Haustür war nur vier oder fünf Schritte entfernt. Sie verharrte auf der letzten Stufe, wusste nicht, was sie tun wollte. Das heißt, im Grunde wusste sie es schon. Mit einem Satz zur Haustür sprinten und hinausstürmen. Zum Nachbargrundstück rennen, klingeln, klopfen, um Hilfe schreien. Sich wenig später in Eddis Arme stürzen. Und Albert und Alwine Retling, wenn sie im Schlafzimmer waren, zurücklassen, zum zweiten Mal verraten. Schlimmer noch diesmal, weil sie jetzt genau wusste, wozu Heiko fähig war. Er würde nicht zögern, seinen Frust und seine Wut an den wehrlosen alten Leuten auszulassen. Wahrscheinlich würde er beide totschlagen, wenn er das nicht bereits getan hatte.
Die Haustür wirkte wie ein Magnet, zerrte an ihrem Verstand, wollte jedes
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