Hörig (German Edition)
das würde er tun, garantiert, sobald er nur den Eindruck bekam, dass sie herumtrödelte.
Was er tun würde, wenn er bemerkte, dass sie ihm nur etwas vorspielte, wagte sie sich nicht auszumalen. Er musste ja nicht einmal ihr weh tun und riskieren, dass sie danach nicht mehr arbeiten konnte. Er hatte doch Albert und Alwine Retling.
Besser erst noch einen Kaffee trinken und in zehn Minuten so tun, als müsse sie aufs Klo. Sich gründlich die Hände waschen, die hatten es nötig, nicht wegen dem bisschen Ruß, nur wegen dem Fettwanst. Danach ein paar Stufen hinauf ganz langsam und vorsichtig … oder besser nichts herausfordern, ihn nicht unnötig provozieren?
Im Hinterkopf tickte die Uhr – gleich neben ihrem Vertrauen in Ed. Wenn Ed um halb vier oder halb fünf nach Hause kam und las, was sie auf den Rand des Zeitungsausschnitts geschrieben hatte … nur für den äußersten Notfall.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass dieser Notfall eintreten würde. Als sie nach oben gegangen war, um ein paar Sachen zu packen, und Heiko sich nicht an ihre Fersen heftete, war sie überzeugt gewesen, es sei überflüssig, Eddi noch eine zusätzliche Nachricht zu hinterlassen. Sonst hätte sie im Arbeitszimmer zu Stift und Papier gegriffen. Aber zum einen bestand die Gefahr, dass Heiko noch einen Rundgang machte und kontrollierte, ob sie etwas für ihren Mann aufgeschrieben hatte. Zum anderen war sie davon ausgegangen, sie sei längst wieder daheim, wenn Eddi zur Tür hereinkam. Dass sie ihm entgegentreten und sagen könnte: «Du ahnst nicht, was passiert ist. Willst du raten, wer mich heute Morgen besucht hat?»
Ihm dann alles erzählen. Von der Fahrt in dem schmuddeligen Fiesta. Dass sie bei der Abfahrt gedacht hatte, Heikos Ziel sei die Eifel. Von ihrer Erleichterung, als sie feststellte, dass es nach Raderthal ging. Wie sie seinen Kumpel bei Retlings abholten und weiterfuhren, Heiko und sein Freund auf den Vordersitzen, sie hinten, neben sich den kleinen Koffer. Wie sie den während der Fahrt öffnete – ganz langsam und vorsichtig, damit es den beiden Männern nicht auffiel. Und wie sie ein Stoßgebet zum Himmel schickte, dass die Pistole geladen war.
Das hatte sie daheim nicht kontrolliert in der Eile, dafür hätte sie das Magazin herausnehmen müssen. Aber wenn sie Heiko die Mündung ins Genick drückte, müsste er davon ausgehen, sich eine Kugel einzufangen, wenn er Widerstand leistete.
Wie sie mit der Waffe in seinem Nacken auf einer stark befahrenen Straße mit möglichst vielen Passanten forderte, an den Straßenrand zu fahren und anzuhalten. Wie sie den Pistolenlauf dann zwischen beiden Köpfen hin- und herschwenkte. Wie sie ausstieg, den Zündschlüssel verlangte, beide Männer weiter mit der Waffe in Schach hielt, während sie irgendjemanden aufforderte: «Rufen Sie sofort die Polizei.»
Sie hatte wirklich gedacht, es sei nicht notwendig, etwas aufzuschreiben. Aber als Heiko davon anfing … Sie wollte ihn nicht misstrauisch machen. Und man konnte ja auch nie wissen, ob alles so funktionierte, wie man sich das vorstellte. Vielleicht hätte sie noch geraume Zeit auf einer Polizeiwache sitzen und erklären müssen, wie sie in den Besitz der Pistole gekommen war. Vielleicht hätte man sie sogar festgehalten. Eddi war früher Mitglied in einem Sportschützenverein gewesen, er besaß immer noch einen Waffenschein und einen Munitionserwerbsschein, sie nicht.
Jetzt war sie dankbar für Heikos Anstoß und stolz, dass ihr in der Eile dieser eine Satz eingefallen war, der alles erklärte.
Es tut mir leid, Ed.
Unvermittelt kam ihr der merkwürdige Traum in den Sinn, in dem Eddi in einem halbdunklen Raum an einer Bar saß. Der Raum war voller Leute, die sie nicht kannte. Einige hatten ihre Gesichter hinter Masken verborgen. Aber Eddis Gesicht sah sie deutlich.
Er schaute teils voller Interesse, teils mit neugierig abwartender Furcht zwischen einer Tür und einem großen Bett hin und her, das mitten im Raum stand. Sie lag auf dem Bett, splitterfasernackt, was ihr erst durch Eddis Verhalten bewusst wurde. Dann öffnete sich die Tür. In einem hellen Viereck war für Sekunden eine schwarze Gestalt zu erkennen, nicht sehr lange. Die Tür wurde gleich wieder geschlossen, und die Gestalt hob sich nur noch als Schatten von dem helleren Holz ab. Die Leute im Raum wussten nicht, wer hereingekommen war, es interessierte sich auch niemand dafür. Nur Eddi wusste es. Und sie, sie wusste es natürlich auch.
Heiko kam zum Bett,
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