Hörig (German Edition)
Augen. «Weil ich dich liebe», sagte sie. «Weil ich mich danach sehne, dass du bei mir bist, richtig bei mir, verstehst du? Nach all den Jahren … Ich habe doch nicht geglaubt, dass ich jemals richtig mit dir zusammen sein kann. Ich dachte immer, wenn du eines Tages frei bist und erfährst, dass ich verheiratet bin, willst du mich gar nicht mehr. Natürlich verstehe ich, dass du jetzt ein bisschen Zeit brauchst. Vielleicht ist es auch besser so. Weißt du was, wir vergessen das, was ich eben gesagt habe, wir vergessen es einfach.»
Zuletzt war ihre Stimme nur noch ein raues und hektisches Flüstern gewesen. Sie tat so, als ob sie die Hände nach ihm ausstrecken und nach seinen Armen greifen wollte. Wie erwartet trat er noch einen Schritt zurück und nickte dabei.
«Okay, wir vergessen das. Jetzt iss, bevor der Kram trocken wird.» Damit drehte er sich ruckartig zur Tür und trat hinaus in den Gang. Die Tür zog er hinter sich zu, aber er verschloss sie nicht erneut.
Minutenlang stand Patrizia reglos da und presste beide Hände vor den Mund, um das hysterische Lachen zu unterdrücken, das unbedingt herauswollte. Sie hatte ziemlich dick aufgetragen und ein paarmal das mahnende Wispern der Furcht gehört, es nicht auf die Spitze zu treiben. Aber sie hatte das unbedingt testen müssen.
Ed hatte einmal gesagt: «Und wenn du dich nackt zu ihm ins Bett gelegt hättest, er hätte dich nicht angerührt. Ich benutze den Begriff
normal
nicht gerne, aber in diesem Fall bringt er am besten zum Ausdruck, was ich dir begreiflich machen will: Jeder normal veranlagte Mann in dem Alter hätte mit dir geschlafen, selbst wenn er dich nicht geliebt hätte. Für einen normal veranlagten Mann hat Sex nämlich nicht viel mit Liebe zu tun. Es ist ein Trieb. Ein hübsches junges Mädchen signalisiert überdeutlich, dass es bereit ist. Da greift ein Mann zu. Warum hat er dein Angebot nicht genutzt? Weil er nicht normal ist.»
Ed hatte recht gehabt in diesem Punkt, wahrscheinlich auch in allen anderen. Darauf vertraute sie jetzt, musste sie auch, weil sie sonst nicht viel tun konnte.
Eine Weile lauschte sie an der Tür, zu hören war nichts. Schließlich ging sie zum Tisch, goss sich Kaffee ein, nahm mit spitzen Fingern die beiden Brote, klappte sie zusammen und biss ein Stückchen ab. Allein die Vorstellung, dass der Dicke das Brot in seinen schmierigen Fingern gehalten und die Leberwurst aufgestrichen hatte, ließ sie würgen. Zu allem Überfluss war die Wurst so dick aufgetragen, dass sie die Zähne verklebte. Nach zwei Bissen legte sie es zurück auf den Teller, trank den Kaffee aus und ging wieder zur Esse.
Sie überlegte, die Tür zu öffnen, um wenigstens etwas von dem zu hören, was im Haus vorging. Waren Albert und Alwine Retling wirklich in ihrem Schlafzimmer eingesperrt? Ging es ihnen gut? Sprachen sie miteinander? Hatten sie Angst? Garantiert hatten die beiden Angst. Sie hatte auch Angst, unverändert fürchterliche Angst. Aber gleichzeitig hatte sie das Gefühl, die Situation bisher ganz gut bewältigt und nun einigermaßen unter Kontrolle zu haben.
Ed hatte einmal gesagt: «Wenn man Leute in einen bestimmten Glauben versetzt, kann man sie leicht manipulieren.»
Sie war überzeugt, dass Heiko jetzt da oben saß und glaubte, dass sie vor Sehnsucht nach ihm fast den Verstand verlor und sich gleichzeitig in Grund und Boden schämte, weil sie sich ihm an den Hals geworfen hatte. Momentan rechnete er garantiert nicht damit, dass sie sich von der Stelle rührte.
Es wäre somit ein günstiger Zeitpunkt, die Tür zu öffnen und zu horchen, worüber er und der Dicke sich unterhielten. Vielleicht sogar die Treppe hinaufzuschleichen, Stufe um Stufe, voller Hoffnung, dass Heiko ihren Koffer inzwischen aus dem Fiesta geholt und achtlos in der Diele abgestellt hatte. Vielleicht hatte er sie deshalb eben eingeschlossen, damit der Dicke die kurze Abwesenheit des Bosses nicht nutzte, um ihr auf die Pelle zu rücken. Vorerst musste er sie ja wohl bei Laune halten.
Wenn sie den Koffer erreichte, ohne von den beiden Männern bemerkt zu werden …
Aber das Türschloss knackte, wenn man die Klinke niederdrückte. Im Wohnzimmer oder der Küche war das bestimmt nicht zu hören, wenn sich jedoch einer von beiden gerade in der Diele aufhielt … Lieber kein Risiko eingehen. Vorerst schien keine Gefahr zu bestehen. Solange sie arbeitete oder zumindest so tat, hatte Heiko keine Veranlassung, sie in irgendeiner Form unter Druck zu setzen. Und
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