Hörig (German Edition)
beugte sich über sie und drückte ihre Schultern mit beiden Händen auf das Laken.
«Bis wir verrückt werden», sagte er.
Über seiner Schulter konnte sie immer noch Eddi an der Bar sehen. Die Neugier in seinem Blick. Und die Furcht. Aber er tat nichts, schaute nur zu, während die anderen sich gar nicht um das Geschehen auf dem Bett kümmerten.
Heiko drückte ihr die Beine auseinander, kniete dazwischen, packte mit den Händen ihre Hüften und hob sie ein wenig an. Auf den Knien rutschte er ein Stückchen näher, zog sie mit einem Ruck zu sich heran, drang in sie ein, legte die Hände wieder auf ihre Schultern. Und Eddi schaute immer noch zu. Er weinte, aber er rührte keinen Finger.
Als es vorbei war, drehte Eddi sein Gesicht weg, als schäme er sich für seine Untätigkeit. Heiko half ihr vom Bett auf, legte ihr einen Arm um die Taille und führte sie zur Tür. «Verschwinden wir, Püppi», sagte er, als er die Tür öffnete.
Dahinter war es nun stockfinster. Und während Heiko sie in diese Finsternis führte, sagte er: «Die wahre Liebe gibt es nur im Tod.»
An der Stelle war sie aufgewacht, das wusste sie noch, nicht schweißgebadet oder mit rasendem Herzen wie nach einem Albtraum, nein, einfach nur so. Ein bisschen verwundert war sie gewesen, weil der Akt im Traum so unbedeutend und gefühllos gewesen war. Sie hatte absolut nichts davon gespürt. Keine Erregung, keinen Schmerz, gewiss keine Lust. Und ein wenig verbittert war sie gewesen.
Zu der Zeit hatte Ed sich schon in Eddi verwandelt, nicht mehr als ihr Therapeut fungiert, aber auch noch nicht mit ihr geschlafen. Von dem Kampf, den er bei jedem Zusammensein mit sich selbst ausfocht, ahnte sie nichts. Dieses Schwanken zwischen Triumph und Schuldbewusstsein. Der Versuchung erlegen. Ein bisschen Gott gespielt und das vollkommene Weib erschaffen, hingebungsvoll, leidenschaftlich, zärtlich, geduldig, sanft. Und gläubig, vor allem gläubig.
An einem Samstagabend hatten sie ein kleines Theater besucht, sich eine Komödie angeschaut, die zu laut, zu grell und zu hektisch war. Danach fuhren sie zu seiner Wohnung. Damals wohnte Eddi noch am Rudolfplatz, ganz in der Nähe seiner Praxis.
Er legte eine CD ein. Vaya Con Dios, diese belgische Band mit der umwerfenden Sängerin Dani Klein. Eddi öffnete eine Flasche Wein, von dem er selbst kaum etwas trank, weil er sie noch nach Hause fahren wollte.
Zuerst saßen sie auf der Couch, irgendwann lagen sie auf dem Teppich. Eddi war zärtlich und leidenschaftlich bis zu diesem gewissen Punkt. Sie war fast einundzwanzig und kam beinahe um vor Verlangen, einmal tatsächlich zu erleben, wie es war. Nicht immer nur daran zu denken, sondern einen Mann wirklich in sich zu fühlen. Aber so weit ließ Eddi es nicht kommen – wieder einmal nicht.
Nachdem er sie heimgebracht hatte, ging sie sofort ins Bett, lag aber noch geraume Zeit wach und fragte sich, ob es nicht doch an ihr lag. Ob sie vielleicht einen merkwürdigen Geruch verströmte, der ihr selbst gar nicht auffiel, oder ob sie sonst etwas Abstoßendes an sich hatte. Darüber schlief sie ein und wachte aus diesem Traum von Heiko wieder auf.
Sonntags holte Eddi sie wie üblich kurz nach Mittag ab. Sie hatte eigentlich nicht mit ihm über den Traum reden wollen, weil sie spürte, wie unangenehm ihm das Thema Heiko inzwischen war. Aber dann erzählte sie ihm doch davon, vielleicht nur um ihn zu provozieren und herauszufordern, weil er sich wieder genauso verhielt wie am Vorabend.
Langer Spaziergang, Restaurantbesuch. «Trinken wir noch ein Glas Wein bei mir?» Natürlich, die Flasche von gestern musste noch halb voll sein. Dann lagen sie wieder nebeneinander auf dem Teppich im Wohnzimmer, sie an Eddis Seite gekuschelt, mit dem Kopf auf seiner Brust. Im Hintergrund sang Neil Diamond leise «Canta Libre».
Eddi hatte den linken Arm unter seinem Nacken verschränkt, kraulte mit der rechten Hand ihren Nacken und lauschte mit geschlossenen Augen. Er öffnete die Augen auch nicht, als sie den Kopf hob, um ihn anzusehen, oder als sie zu reden begann. Als sie zum Ende kam, richtete sie den Oberkörper auf und versuchte, von seiner Miene abzulesen, ob sie ihn schockiert hatte. Aber da war nichts zu erkennen.
Eddi spekulierte nicht über eventuell noch vorhandene Sehnsüchte. Fragte nicht, welche Bedeutung sie den unbekannten Leuten oder den Maskierten gab oder welchen Symbolgehalt sie der Finsternis hinter der Tür einräumte, wie er es während einer Therapiestunde
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