Hörig (German Edition)
Kleiber war damals nur eines wirklich wichtig gewesen: der Name des zweiten Mannes. Mochte Schramm hundertmal behaupten, er habe mit Patrizia nie über seinen Komplizen gesprochen.
Und jetzt saß ihm der gehörnte, verlassene Ehemann gegenüber und behauptete steif und fest, es hätte keinen zweiten Mann gegeben. Das entlockte Kleiber nur ein müdes Lächeln.
Edmund registrierte es durchaus. Er wusste längst, dass er auf verlorenem Posten kämpfte. Alles in ihm drängte danach, den Raum und das Gebäude auf der Stelle zu verlassen, sich in den Wagen zu setzen und herumzufahren. Einfach nur herumfahren, ziel- und planlos durch die Stadt, getrieben von der irrsinnigen Hoffnung, Patrizia auf diese Weise zu finden. Oder vielleicht zuerst einmal heim, die Pistole holen.
Er fühlte sich wie zerrissen, schwankend zwischen drängenden Bedürfnissen wie dem Wunsch, ebenfalls mal mit der Faust auf den Schreibtisch dieses Polizeitrottels zu schlagen, und dem, was der Verstand ihm einflüsterte.
Ganz ruhig, Edmund, ganz ruhig. Du brauchst Anhaltspunkte, und um die zu bekommen, musst du den werten Kriminalhauptkommissar aus der Reserve locken
.
«Schramm war immer ein Einzelgänger», wiederholte er, was er schon zwei- oder dreimal betont hatte.
Kleiber grinste freudlos. «Sie scheinen ja eine Menge über ihn zu wissen. Hatten Sie mal persönlich mit ihm zu tun?»
Es widerstrebte Edmund, von den späteren Therapiestunden mit Patrizia zu sprechen, nachdem es ihm endlich gelungen war, sie aus ihrer Starre zu reißen. Von ihrem anfangs noch traumverlorenen Blick, mit dem sie Schramms Heldentaten andeutungsweise preisgegeben hatte.
Die Drogengeschäfte, die nur in Discotheken abgewickelt wurden, nach denen er die Geldscheine gebündelt in der Hosentasche trug. Die Fahrten nach Amsterdam, als Urlaubsreisen einer jungen Familie getarnt. Das Auto voll mit Koffern und Strandsachen, auf dem Beifahrersitz die arme Frau, die nachts in einer Disco das Geld für sich und zwei kleine Kinder verdiente und von Schramm ein paar Scheine zugesteckt bekam, damit sie ihn samt ihren Kindern auf diesen Fahrten begleitete.
Aber übertrieben hatte er es nicht mit diesen Ausflügen, nicht aus Angst vor der Polizei, sondern aus Respekt vor den Kartellen, die das Geschäft im großen Stil betrieben. Mit denen hatte er sich nicht anlegen wollen, war jedoch auch nicht bereit gewesen, für sie zu arbeiten.
«Leute wie Schramm schließen sich niemandem an», sagte Edmund. «Warum sollten sie auch?» Als er weitersprach, bot er Kleiber die Erkenntnis, die er auch Patrizia eingehämmert hatte, nachdem er die Akten wieder und wieder gelesen hatte.
«Der
kleine Gauner
war sein eigener Boss», fuhr Edmund fort. «Und er konnte es sich nicht verkneifen, der Polizei zumindest einen Hinweis auf den Mann zu geben, mit dem sie es tatsächlich zu tun hatten. Ein gefährlicher Mann, eiskalt und sorgfältig planend. Aber ein sorgfältig planender Komplize, der alle Risiken bedenkt, hätte nicht zugelassen, dass Schramm sich nach dem Überfall daheim ins Bett legte. So ein Mann hätte sich garantiert nicht darauf verlassen, dass Schramm den Mund hält. Er hätte vielmehr dafür gesorgt, dass Schramm noch in der gleichen Nacht untertaucht oder auf andere Weise verschwindet. Das liegt doch auf der Hand, Herr Kleiber. Bei der Figur, die Schramm vor der Polizei und im Prozess abgegeben hat, wäre das Risiko für einen intelligenten Komplizen viel zu groß gewesen. Sehen Sie, Herr Kleiber, und das ist der springende Punkt: bei der Figur. Jeder hat Schramm die Rolle des Trottels abgekauft.»
«Ich nicht», widersprach Kleiber. «Ein Trottel hätte versucht, seine eigene Haut zu retten, indem er abtauchte. Schramm dagegen wusste genau, was gut für ihn war. Er hatte seine Anweisungen, und daran hat er sich gehalten.»
Edmund schüttelte energisch den Kopf: «Nein. Er hat Sie an der Nase herumgeführt, aber anders, als Sie denken.»
Kleiber war es leid. «Na schön, und jetzt hat er Ihnen die Frau vor der Nase weggeschnappt, deshalb sind Sie doch hier. Oder wollen Sie uns helfen, einen alten Fall aufzuklären? Tut mir leid, Herr Bracht, da gibt es nichts mehr zu klären.»
Kleiber machte eine winzige Pause, vielleicht nur um Atem zu holen, ehe er in gereiztem Ton fortfuhr: «Es gibt Dinge, die kann auch ein genialer Einzelgänger nicht im Alleingang regeln. Das Ding bei Retling war so eins.»
Dann schilderte Kleiber, wie er die Sache sah, damals wie heute.
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