Hörig (German Edition)
große Liebe? Unsinn! Schramm vielleicht, sogar wahrscheinlich, aber Patrizia nicht. Warum hatte sie ihm überhaupt zwei Getränke angeboten? Wirklich nur um Zeit zu schinden?
Und warum dann plötzlich diese Hektik? Sie hatte das Haus in Eile verlassen, dafür sprachen ihre verschmierte Handschrift, das stehengelassene Geschirr auf dem Küchentisch und der Staubsauger im Wohnzimmer. Natürlich hatte Schramm sie gezwungen, ihn zu begleiten. Dafür sprach dieser lapidare Satz. Nach insgesamt fünf guten Jahren verabschiedete man sich nicht so einfach mit einem
Es tut mir leid, Ed.
Eine knappe Stunde später erreichte er Patrizias Elternhaus und hielt Ausschau nach einer Lücke am Straßenrand, die nicht in eine Garageneinfahrt führte. Er musste minutenlang suchen, ehe er eine fand. Als er ausstieg und den Wagen verriegelte, zitterten seine Beine vor Anspannung und Nervosität. Er reckte sich und versuchte, zumindest sein Gesicht unter Kontrolle zu bringen.
Der Regen fiel jetzt etwas dichter, er bemerkte es kaum. Ihm war nach Heulen zumute, einfach nur Rotz und Wasser heulen. Die Wut, die Angst, die Unsicherheit und die Frustration wollten sich unbedingt einen Weg nach außen bahnen.
Was für eine hirnverbrannte Idee, zuerst zur Polizei zu fahren. Hatte er wirklich auch nur eine Minute lang ernsthaft damit gerechnet, dort Hilfe zu finden?
Natürlich hatte er und fühlte sich deshalb jämmerlich im Stich gelassen von Gott und der Welt und diesem Hauptkommissar Kleiber. Wie ein Versager fühlte er sich. Aber es war nun mal eine Sache, ein innerlich zerbrochenes junges Mädchen davon zu überzeugen, dass es an eine Bestie geraten war. Und es war eine ganz andere Sache, dieselbe Story einem Polizisten mit langjähriger Berufserfahrung zu verkaufen, der sich einbildete, über genügend Sachverstand und Menschenkenntnis zu verfügen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Edmund ging die fünfzig Meter zurück bis zu dem Haus, in dem nur noch sein Schwiegervater lebte. Und während er ging, war er mehr Eddi als jemals zuvor, einfach nur noch ein verlassener und möglichweiser schon betrogener Ehemann, der mit seinem Latein am Ende war. Von außen nass geregnet und innen durchgeweicht von den eigenen Gefühlen, verletzt, enttäuscht und verraten.
Warum hatte Patrizia nicht wenigstens eine Erklärung dazugeschrieben? Nur ein paar Sätze. Etwas mehr als dieses endgültige
Es tut mir leid, Ed.
Weil sie genau wusste, dass dieser Satz ausreichte. Und außer ihr und ihm wusste das niemand.
Vielen Dank, Ed, es war nett mit dir. Aber das war’s dann mit uns beiden. Mir konntest du wohl weismachen, Heiko hätte mich nie geliebt und so viel Interesse an meiner Person gehabt wie an einem Wetterbericht vom vergangenen Oktober. Aber hast du wirklich angenommen, er käme nicht zu mir, wenn sie ihn wieder rauslassen? Warst du tatsächlich überzeugt, dass er nicht umgehend Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um mich zu finden? Wenn ja, dann hast du dich böse geirrt, Ed.
Edmund fasste es selbst nicht, aber er begann zu glauben, dass sie doch aus freien Stücken, aus Liebe …
Ein Stück vor sich sah er die berüchtigte Straßenecke und gleichzeitig vor seinem inneren Auge die kindliche Handschrift in ihrem Tagebuch.
Jetzt steht Heiko schon den vierten Tag …
Da kam blanke Wut hoch, und augenblicklich war er seinen Empfindungen ebenso hilflos ausgeliefert wie der verlassene Ehemann, der ihm jeweils am Dienstagnachmittag als letzter Patient gegenübersaß. Von dem er oft dachte, dass er sich jetzt aber endlich mal ein bisschen zusammenreißen könnte. Dass er doch noch nicht zu alt sei, um mit einer anderen Frau neu anzufangen.
Mit einer anderen Frau? Was für ein fürchterlicher Gedanke. Es konnte für ihn keine Frau mehr geben, die auch nur annähernd an Patrizia heranreichte. Sie war vollkommen. Das Werk von zwei langen Jahren harter Arbeit, das Ergebnis eines erbitterten Kampfes gegen Satan persönlich, eine Frau, genau so, wie er sich eine Frau vorgestellt hatte.
Wenn Schramm sie anrührte oder das vielleicht schon getan hatte …
Dann tun wir es richtig, Püppi!
Es tat einfach nur noch weh.
Natürlich wusste er tief in seinem Innern immer noch, dass Patrizia ihn niemals ohne besonderen Grund verlassen hätte. Dass Schramm irgendetwas in der Hand gehabt haben musste, nicht unbedingt ein Messer. Es gab andere Waffen, um einen Menschen gefügig zu machen. Wenn einer das wusste, dann Edmund. Und es waren im Grunde nur die
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