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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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dir jetzt auch nicht helfen. Schramms Mutter ist nach dem Prozess umgezogen.»
    Anscheinend gab es mehrere Schramms in der App des Telefonbuchs, die Dorothea angeklickt hatte. Sie rollte sekundenlang rauf und runter, dann schaute sie zu Paul hinüber. «Du erinnerst dich nicht zufällig an den Vornamen seiner Mutter?»
    «Hilde oder Edith oder Agnes oder so», sagte Paul und schimpfte erneut los: «Woher soll ich denn heute noch wissen, wie seine Mutter heißt? Das stand auch in den Unterlagen. Wie kommst du darauf, dass Mama die verbrannt hat? Die liegen irgendwo auf dem Dachboden.»
    «Vom Dachboden hab ich sie runtergeholt, damit Mama Ruhe gab», sagte Dorothea. «Sie bekam Zustände bei der Vorstellung, dass nach ihrem Tod ein Unbefugter den Ordner finden und Patty als Gangsterliebchen brandmarken könnte. Also habe ich ihr den Gefallen getan.»
    «Wie soll denn ein Unbefugter auf meinen Dachboden kommen», ereiferte sich Paul.
    «Nach deinem Tod könnte das schnell passieren», erklärte Dorothea ungerührt. «Und in den letzten Monaten hast du keinen Zweifel daran gelassen, dass der Fall eher heute als morgen eintreten könnte.»
    Damit ging sie zurück in den Flur und sagte noch: «Es sind um die zwanzig, ich ruf mal durch. Das wird eine Weile dauern, aber eine andere Möglichkeit sehe ich im Moment nicht. Und wenn eine weiß, wo Schramm steckt, dann wahrscheinlich seine Mutter.»
    «Du glaubst aber hoffentlich nicht, dass du von der eine Auskunft bekommst!», rief Paul ihr nach. «Weißt du nicht mehr, was sie damals gesagt hat? Es sei alles nur Patrizias schuld gewesen, wenn die sich nicht an ihren armen Jungen rangemacht hätte …»
    Dorothea kümmerte sich nicht um sein Gezeter. Sie begann mit ihren Telefonaten.
    «Das ist doch Wahnsinn», murmelte Edmund, fühlte sich jedoch auch erleichtert, weil endlich jemand etwas tat, was einigermaßen sinnvoll und vernünftig erschien.
    Als er Dorothea sprechen hörte, stieg sogar ein wenig Hoffnung in ihm auf, dass sie etwas erreichen könnte. Ihre Stimme klang nachlässig und ein bisschen verwaschen. «Hier ist Gerda. Kann ich mal den Heiko sprechen?»
    Wer ist Gerda?, dachte Edmund und hatte das Gefühl, vor einer Wand zu stehen.

    Kurz nach sechs brachte Heiko noch einmal Leberwurstbrote und Kaffee in die Werkstatt. Zusätzlich hatte er eine zusammengeklappte Campingliege dabei. Die stellte er bei der Tür ab. «Ich bring dir nachher noch ’ne Decke runter», sagte er, während er zum Arbeitstisch ging und das Tablett darauf abstellte.
    Die letzten beiden Stunden mit all den Gedanken und grausamen Vorstellungen hatten sie innerlich ganz hohl gemacht. Und dabei vibrierte jeder Nerv in ihr, wartete auf das Kommando aus der Schaltzentrale unter der Schädeldecke. Aber die Kommandos zuckten ihr nur nutzlos im Kopf herum, hinter ihrer Stirn schien etwas blockiert zu sein.
    Sie löschte mit einem mechanischen Griff die Flamme und ging ebenfalls zum Tisch, betrachtete das Tablett und den Teller darauf mit Widerwillen. Sie schaffte es nicht einmal mehr zu lächeln, und das wäre doch so wichtig gewesen. Lächeln, ein bisschen wie das siebzehnjährige Mädchen, das Heiko von früher kannte, und ein bisschen wie die erwachsene Frau, die sich vor Sehnsucht nach ihm verzehrte.
    Stattdessen fragte sie mürrisch: «Gibt es hier nur Leberwurstbrote?» Noch bevor er ihr antworten konnte, fügte sie hinzu: «Eine Suppe wäre nicht schlecht. Oder wenigstens eine Bouillon statt Kaffee, damit wäre ich auch schon zufrieden. Mir ist nach etwas Salzigem.»
    Das Reden schien die Blockade im Hirn aufzuheben. Eds Stimme huschte wieder an den Nervenbahnen entlang. Es war fast so, als ob er selbst die Befehle gab. Nicht auf die Polizei warten, auch den Beamten konnten Fehler unterlaufen. Niemand war vollkommen. Nur wer sich selbst half, dem half Gott. Sie zeigte zur Esse hinüber und sprach weiter: «Ich habe sehr geschwitzt.»
    Nur ein dezenter Hinweis. Das musste reichen. Er musste von alleine darauf kommen, dass sie sich auch waschen wollte und frische Sachen brauchte – mit anderen Worten, ihren Koffer. Er hatte doch immer so großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt. Früher! Jetzt reagierte er nicht.
    Und sie wagte es nicht, ihn direkt auf den Koffer anzusprechen, um ihn nicht hellhörig zu machen. Sonst kam er noch auf den Gedanken, ihre Sachen zu durchwühlen. Wenn er die Pistole fand … Sie redete weiter, eifrig und hastig jetzt wie ein Kind, das gelobt werden möchte.

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