Hoffnung am Horizont (German Edition)
sich Annabelle daran, wie sie im letzten Mai mit Jonathan eine ähnliche Szene vor sich gesehen hatte. An dem Morgen, an dem sie sich mit den anderen vor Denver versammelt hatten, hatte Jonathan die Schimmel auf einer Anhöhe angehalten, ähnlich wie Matthew es jetzt machte. Mehrere Minuten hatte sie schweigend neben ihrem Mann gesessen und die große Wagenansammlung staunend bewundert. Ein gewisser Stolz hatte sie ergriffen, als sie die vielen Männer, Frauen und Kinder erblickt hatte, die zu einem gemeinsamen Ziel zusammengekommen waren: Sie alle wollten sich woanders ein besseres Leben aufbauen. Der gleiche Stolz regte sich auch jetzt in ihr.
Matthew stieß sie leicht in die Seite. „Sieht so aus, als kämen wir rechtzeitig zur Feier!“
Annabelle lächelte ihn an und malte sich aus, wie es wohl wäre, mit ihm zu tanzen. Vorausgesetzt, er konnte tanzen. Sie hatte natürlich nicht vor, heute Abend zu tanzen, da Jonathans Tod erst so kurz zurücklag. Aber falls Matthew nicht tanzen könnte, wäre das etwas, das sie ihm eines Tages beibringen müsste. Und sie würde es genießen, dass auch sie ihm endlich etwas beibringen konnte.
Er ließ die Zügel schnalzen und der Wagen fuhr wieder an. Nach einem kurzen Blick hinter sich setzte Sadie ebenfalls ihren Weg fort. Annabelle hatte gespürt, dass das Mädchen Zeit für sich allein brauchte. Sie konnte das gut verstehen.
Matthew beugte sich näher zu ihr herüber. „Wir beide müssen über etwas sprechen.“
Als sie den Ernst in seinen Augen sah, konnte sie sich gut vorstellen, was dieses „Etwas“ wahrscheinlich war. Ihre Gefühle waren immer noch aufgewühlt, weil er gesagt hatte, dass sich ihre Wege wieder trennen würden, sobald sie auf der Ranch angekommen waren. Nachdem sie nachgefragt und er zugegeben hatte, dass er sich darüber noch keine Gedanken gemacht habe, war sie sehr verletzt gewesen. Aber sie hatten vorher nie darüber gesprochen, was geschehen würde, wenn sie auf der Ranch ankäme. Insgeheim hatte Annabelle gehofft, dass Matthew vielleicht bei ihr bleiben würde. Sie hielt es für ein gutes Zeichen, dass er dieses Thema jetzt offensichtlich ansprach.
Da sie nicht zu übereifrig wirken wollte, zuckte sie leicht mit den Achseln. „Wir können jetzt sofort darüber sprechen, wenn du willst.“
Er starrte sie einen Moment an. „Wie du meinst.“
Der Blick in seinen Augen verriet, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag.
Er konzentrierte sich einen Moment auf die Pferde, dann zeigte sich ein Lächeln um seine Mundwinkel. „Wie hast du es geschafft, gestern Nacht den Wachmann an der Tür loszuwerden? Und dann auch noch den anderen Mann bewusstlos zu schlagen?“
Als ihr bewusst wurde, dass sie seine Absichten falsch gedeutet hatte, zwang sich Annabelle zu einem Lachen, um ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie war nicht darauf vorbereitet, mit ihm darüber zu sprechen. Noch nicht.
Um Zeit zu gewinnen, warf sie ihm einen Blick von der Seite zu. „Ich rette dir die Haut, und du zeigst deine Dankbarkeit darin, dass du die Mittel, die ich dazu eingesetzt habe, infrage stellst?“
„Ich bin dir sehr dankbar, das kannst du mir glauben. Aber ich bin auch neugierig.“ Sein Tonfall verriet, dass er dieses Thema nicht so leicht fallen lassen würde.
Sie legte sich schnell in Gedanken ihre Antwort zurecht und überlegte, wie sie weitere Fragen vermeiden könnte. „Ich habe vor der Spielhalle auf dich und Sadie gewartet, wie wir es abgesprochen hatten, aber als so viel Zeit verging und keiner von euch beiden auftauchte, habe ich mir Sorgen gemacht. Deshalb bin ich zur Tür gegangen und sah, dass drinnen irgendetwas los war.“ Sie zuckte, wie sie hoffte, unschuldig mit den Achseln, um ihre Worte zu unterstreichen. „Diese Chance habe ich genutzt, um mich nach hinten zu schleichen. Ich sah nur den einen Mann. Er lag schon auf dem Boden, als ich kam.“ Sie war innerhalb der Grenzen der Wahrheit geblieben, auch wenn sie diese ziemlich weit gedehnt hatte, und versuchte abzuschätzen, ob er überzeugt war.
Er schaute sie argwöhnisch an. „Wie hast du die Tür aufgebracht?“
„Ach, das war das Leichteste von allem“, antwortete sie mit einem Seufzen. Es war die Wahrheit. „Mein Vater war Schmied. Ein Schloss ohne Schlüssel aufzumachen, das konnte ich früher als lesen.“ Sie wartete und hoffte, sie hätte seine Neugier gestillt, wenigstens vorerst, obwohl sie genau wusste, dass sie ihm irgendwann die Wahrheit sagen müsste. Und zwar
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