Hoffnung am Horizont (German Edition)

wirken. Das war auch etwas, mit dem er sie überrascht hatte. Jonathans Hände mit seinen kräftigen Fingern, Narben und Schwielen von der jahrelangen Arbeit auf einer Ranch passten nicht zu seiner gleichmäßigen, fließenden Handschrift.
     
    Lieber Pfarrer Carlson,
    wenn Sie diese Worte lesen, bin ich tot und meine Annie braucht Ihre Hilfe. Ich schreibe Ihnen während des wahrscheinlich letzten Sonnenaufgangs, den ich auf dieser Erde erleben werde. Ihr Leben bezeugt das, was Sie in der Kirche predigen. Aus diesem Grund schreibe ich Ihnen diesen Brief. Und weil ich weiß, dass Sie sich von Gott zeigen lassen werden, was zu tun ist. Annabelle vertraut Ihnen und Ihrer Frau. Von Ihnen wird sie die Hilfe annehmen, die sie von anderen nicht annehmen würde.
    Dieses Land in Idaho wartet auf uns, wie ich es Ihnen in unseren Gesprächen gesagt habe. Es ist abbezahlt und schuldenfrei, und ich will, dass Annabelle dort wohnt. Sie und unser Kind. Ich schicke sie zu Ihnen zurück, aber wir wissen beide, dass sie nicht in Willow Springs bleiben kann. Sie wird nie die Chance haben, das neue Leben zu führen, das sie verdient, solange sie im Schatten ihres alten Lebens wohnt.
    Nehmen Sie diesen Brief als Vollmacht von mir, Geld von einem Konto, das auf meinen Namen läuft, bei der Bank von Idaho abzuheben. Heben Sie genug ab, um einen Scout einzustellen, der Annabelle zu Brennans Treck führt und sie dann sicher zu unserer Ranch in Idaho begleitet.
     
    Annabelles Augen wurden groß, als sie die Summe las, die Jonathan am Rand notiert hatte. Sie hatte nie gewusst, wie es finanziell um ihn stand, aber diese Summe würde sein Konto sicher völlig leerräumen.
    Als sie den nächsten Absatz las, setzte irgendwo in ihrer Brust ein tiefer Schmerz ein.
     
    Der Scout, den Sie einstellen, muss ein ehrbarer Mann sein, Pfarrer Carlson. Ein Mann, der nicht versuchen wird, meine Frau in irgendeiner Weise auszunutzen, und der auf ihren Zustand Rücksicht nimmt. Die Fahrt wird schwer genug werden, aber da Annie schwanger ist, wird es noch anstrengender für sie sein. Ich will nicht, dass ihr irgendjemand das Leben noch schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Ich weiß nicht, wie Sie den richtigen Mann für diese Aufgabe finden können, aber ich vertraue darauf, dass es Ihnen gelingt. Und dass Sie in Ihrem Herzen Gewissheit spüren, wenn Sie ihn gefunden haben.
    Ich schaue Annie an, die im Moment schläft. Sie ist so schön, dass es wehtut, wegzusehen. Wie kommt es, dass ich das Gefühl habe, mein eigener Brustkorb würde sich heben und senken, wenn sie atmet? Ich gebe zu, dass ich mich ärgere, weil Gott mich so früh zu sich holt. Ich weiß, dass Gott mich nicht braucht, um Annie und unser Kind zu beschützen, aber ich hatte mich wirklich darauf gefreut, ihm ein paar Jahre dabei zu helfen. Ich nehme an, dass Annie meinen Leichnam zu Ihnen zurückbringt. Es ist mir egal, wo sie mich begraben will, aber es wäre schön, wenn es neben dem Fountain Creek wäre. Annabelle und ich haben dort viele schöne Nachmittage miteinander verbracht. Ich danke Ihnen, dass Sie ihr dabei helfen werden.
    Ich dachte immer, ich wäre ein Mensch, der anderen leicht vergeben kann, und das war ich in den letzten Jahren wahrscheinlich auch. Doch wenn ich jetzt auf mein Leben zurückblicke, wünsche ich mir, ich hätte in früheren Jahren anderen schneller und bereitwilliger vergeben. Warum lernen wir vieles erst so spät im Leben, Herr Pfarrer? Ich würde Ihnen diese Frage gerne bei einem persönlichen Gespräch stellen. Ich weiß, dass Sie mir eine Antwort geben könnten, und dass es eine gute Antwort wäre.
     
    Die gleichmäßige Schrift wurde unterbrochen.
    Ein dunkler Tintenfleck hatte sich auf dem Papier gebildet, als hätte Jonathan an dieser Stelle gezögert und überlegt, wie er weiterschreiben sollte. Annabelles Brustkorb zog sich noch mehr zusammen, als sie seine letzten Worte las. Sie hörte seine Stimme so deutlich in ihrem Kopf, als säße er direkt neben ihr.
     
    Wir alle sterben irgendwann, und nur das, was wir für Gott tun, hat Bestand. Das weiß ich jetzt. Unser Leben ist wie Wasser, das auf die Erde geschüttet wird. Es lässt sich nicht wieder einsammeln. Deshalb versucht Gott wahrscheinlich, uns zurückzuholen, wenn wir uns von ihm entfernt haben. Er lässt nicht zu, dass das Leben der Menschen, die er liebt, vergeudet wird, und das sollten wir auch nicht tun.
    Ich bin Ihnen dankbar, dass ich Ihnen diese Bitten anvertrauen kann, und bete zu