Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 7
die Prophezeiung denken, die Li Fang in London bekommen hatte. Ihr Elefantenritt war immerhin schon Wirklichkeit geworden. Das war aber auch das einzig Positive, das sie ihrer misslichen Lage momentan abgewinnen konnte.
Es musste doch eine Möglichkeit geben, den Bann der Inderin zu brechen! Aber wie sollte das funktionieren? Kate hatte keine Ahnung. Sie erinnerte sich an den verstorbenen alten Inder Singh, der genau wie James Mitglied in der Bruderschaft vom Reinen Herzen gewesen war. Der Alte verstand etwas von verschiedenen magischen Techniken und hätte bestimmt Rat gewusst.
Kate wurde von heftigen Kopfschmerzen heimgesucht. Die Luft in den engen Gassen Bombays war alles andere als gut, und der Elefant kam in dem Gedränge nur langsam voran. Kate, die an die Geschwindigkeit eines Dampfkutters gewöhnt war, musste sich einer harten Geduldsprobe unterziehen. Die Ungewissheit war das Schlimmste. Was hatte Suna mit ihr vor? Fragen konnte sie die Inderin ja nicht, denn Kate hatte nach wie vor keine Kontrolle über ihre Sprache. Daher konnte sie auch noch immer nicht um Hilfe rufen.
Kate ging ihr Zeitgefühl komplett verloren, und orientieren konnte sie sich in dieser fremden Stadt sowieso nicht. Nur dann und wann wurde eine der Baldachin-Stoffbahnen von einem Windstoß ein wenig zur Seite geweht. Dann konnte Kate einen kurzen Blick auf das Gedränge in den engen Gassen Bombays werfen. Auch der Straßenlärm drang in ihre Ohren, und sie konnte die fremdartigen und teilweise strengen Gerüche deutlich wahrnehmen. Und doch fühlte sie sich wie eine lebende Leiche, während sie auf dem Rücken eines Elefanten verschleppt wurde.
Irgendwann gelangte das Reittier in die Außenbezirke der großen Stadt. Der Treiber lenkte den Dickhäuter fort von der ungepflasterten Hauptstraße. Bald stapfte der Elefant auf einem engen Pfad zwischen üppig wuchernden exotischen Pflanzen. Die großen leuchtend grünen Blätter der Bäume schlugen gegen den stoffbehangenen Baldachin. Die Luftfeuchtigkeit wurde beinahe unerträglich.
„Wir sind da“, sagte die Inderin.
Suna schlug die Stoffbahnen zur Seite. Kate erblickte vor sich eine halb verfallene Tempelanlage, die offenbar mitten im Urwald lag. Es gab einen überwucherten Hofgang zu sehen, über dem sich eine von gemeißelten Säulen getragene steinerne Veranda befand. Dort oben hatten Wächter mit Turbanen Position bezogen, deren Flintenläufe drohend auf Kate gerichtet waren.
Der Elefant trottete in den Hof und ging nach einem Signal des Treibers in die Knie. Eine Holztreppe wurde bereitgestellt, und finster blickende schwarzbärtige Inder halfen Suna und Kate beim Absteigen. Am liebsten wäre die Pilotin fortgerannt, aber sie hatte nach wie vor keine Kontrolle über ihren Körper.
Würde dieser Zustand für immer so bleiben? War Kate ab sofort Sunas willenlose Sklavin? Über diese Zukunftsaussichten wollte sie sich lieber keine Gedanken machen. Kate befürchtete nämlich, dann sofort ihren Verstand zu verlieren.
Einer von den Schwarzbärten führte die beiden Frauen durch eine Halle, die mit steinernen Fresken verziert war. Kate erblickte in Stein gehauene Dämonen-Fratzen, und ihr lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. In der unübersichtlichen Tempelanlage hielten sich offenbar viele Menschen auf, aber es waren ausschließlich Männer zu sehen.
„Der Meister wird euch eine Audienz gewähren“, sagte der Schwarzbart auf Englisch. Er brachte die beiden Frauen in einen kleineren fensterlosen Raum, der durch Petroleumlampen beleuchtet wurde. Dann schloss er die Tür von außen.
Eine Audienz gewähren? Diese Worte hatte Kate bisher immer nur im Zusammenhang mit Queen Victoria gelesen, oder mit dem Papst. Wer war dieser „Meister“, der sich den mächtigsten Menschen der Welt offensichtlich ebenbürtig fühlte?
Sie traten in einen großen und edel aussehenden Raum. Ein kleiner glatzköpfiger Inder mit einem schütteren Spitzbart hatte es sich auf einer Ottomane bequem gemacht. Der Kerl qualmte eine Zigarre, die sehr teuer war. Das konnte Kate schon am Duft erkennen. Neben dem Raucher stand ein Haushaltsroboter, der einen Aschenbecher hielt. Der mechanische Diener folgte mit seinen Bewegungen dem „Meister“. Wenn der Raucher die Asche abstreifte, dann hielt der Roboter den Aschenbecher unter die Zigarre.
Suna fiel vor dem Glatzkopf auf die Knie. „Ich habe eure Befehle ausgeführt, oh großer Makhras. Diese Engländerin ist Kate Fenton.“
Und auch Kate musste
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