Hohle Köpfe
Feldwebel Colon gab ihm die Schriftrolle zurück. »Wenn du
es niemandem verrätst, brauchst du gar nicht in goldenen Hosen oder so
herumzulaufen und auf Bällen zu balancieren. Bleib ruhig hier sitzen. Ich
hole dir eine Tasse Tee, in Ordnung? Wir lösen das Problem schon ir-
gendwie, keine Sorge.«
»Herzlichen Dank, Fred.«
»Oh, keine Ursache, Euer Lordschaft«, erwiderte Colon. Er hob und
senkte mehrmals die Brauen.
»Bitte nicht«, stöhnte Nobby.
Die Tür des Wachhauses öffnete sich.
Nebel wehte wie Rauch herein. Mitten in den Schwaden glühten zwei
rote Augen, und die große Gestalt eines Golems schälte sich heraus.
»Umpk«, sagte Feldwebel Colon.
Ich bin zu euch gekommen.
»Ja«, erwiderte Colon. »Ja… äh… ja. Es ist kaum zu übersehen.«
Dorfl drehte die Schiefertafel um. Auf der anderen Seite stand:
Hiermit stelle ich mich. Ich habe den alten Priester umgebracht. Damit ist der Fall gelöst.
Als Colons Lippen sich nicht mehr bewegten, eilte er hinter die nicht
besonders viel Schutz versprechende Barriere des Schreibtisches und
wühlte dort in den Papieren.
»Paß gut auf den Burschen auf, Nobby«, sagte er. »Sorg dafür, daß er
nicht wegläuft.«
»Warum sollte er weglaufen?« frage Nobbs.
Feldwebel Colon fand ein einigermaßen sauberes Blatt Papier.
»Also gut. Ich sol te mir wohl besser deinen Namen notieren. Wie
heißt du?«
Dorfl.
Als Mumm die Messingbrücke erreichte (mittelgroße Pflastersteine von
der abgerundeten Sorte, die man »Katzenköpfe« nannte; hier und da
fehlten einige), fragte er sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Der Nebel war im Herbst immer sehr dicht, aber so undurchdringlich
wie jetzt wurde er nur selten. Die gelbliche Graue dämpfte al e Geräu-
sche der Stadt, verwandelte selbst das Licht der hellsten Laternen in ein
mattes Glühen. Es war sonderbar finster, obwohl die Sonne erst noch
untergehen mußte.
Der Kommandeur wanderte an der Brüstung entlang. Eine gedrunge-
ne, glänzende Gestalt ragte im Nebel auf: eins der hölzernen Flußpferde,
vermutlich ein ferner Verwandter von Roderick und Kimbert. Vier von
ihnen standen auf jeder Seite, und sie blickten zum Meer.
Mumm war unzählige Male an ihnen vorbeigewandert und sah prak-
tisch alte Freunde in ihnen. In kalten Nächten, wenn er nach einem Ort
suchte, an dem keine Schwierigkeiten drohten, hatte er in ihrem Wind-
schatten gestanden.
So war’s früher gewesen. Es schien noch gar nicht so lange her zu sein.
Nur eine Handvol Männer in der Wache, die Problemen aus dem Weg
gingen. Dann traf Karotte ein, und plötzlich öffnete sich der kleine Kreis ihres Lebens. Jetzt hatte die Stadtwache fast dreißig Mitglieder (unter
ihnen Trolle, Zwerge und andere), und sie waren keineswegs bemüht,
Probleme zu meiden. Im Gegenteil, sie suchten nach ihnen, und sie wurden überal dort fündig, wo sie aufmerksam genug Ausschau hielten.
Eigentlich komisch. Vetinari hatte einmal darauf hingewiesen: Je mehr
Polizisten es gab, desto mehr Verbrechen schienen verübt zu werden.
Doch die Wache war zurück, und sie versteckte sich nicht mehr. Zwar
waren nicht alle Wächter so gut wie Detritus darin, jemanden in den
Hintern zu treten, aber dafür gingen sie gewissen Leuten gehörig auf die
Nerven.
Mumm entzündete ein Streichholz am Fuß des Flußpferds und schirm-
te die Zigarre mit der gewölbten Hand ab.
Die Morde… Niemand würde sich darum scheren, wenn die Wache in
diesen Fällen nicht ermittelte. Zwei alte Männer, am gleichen Tag umge-
bracht. Nichts gestohlen… Gestohlene Dinge zeichneten sich norma-
lerweise durch Abwesenheit aus. Die Frauen anderer Männer waren si-
cher kein Motiv – wahrscheinlich hatten die beiden Alten längst verges-
sen, welchen Spaß man auf diesem Gebiet haben konnte. Einer ver-
brachte seine Zeit mit religiösen Büchern, und der andere galt als Exper-
te für die Kunst des aggressiven Backens.
Die Leute waren sicher überzeugt, daß sie ein untadeliges Leben ge-
führt hatten.
Doch Mumm sah das alles aus der Perspektive des Polizisten. Niemand
führte ein vol kommen untadeliges Leben. Wenn man irgendwo ganz
still in einem Keller lag, konnte man viel eicht einen ganzen Tag verbrin-
gen, ohne ein Verbrechen zu begehen. Aber mit ziemlicher Sicherheit
machte man sich auch dann zumindest des Herumlungerns schuldig.
Angua schien diesen Fal persönlich zu nehmen. Sie hatte eine Schwä-
che für die Benachteiligten und
Weitere Kostenlose Bücher