Hohle Köpfe
Nacht, und es herrschte nur wenig
Verkehr auf den Straßen. Die Leute blieben daheim und schlossen die
Fensterläden, auf daß die kalte gelbe Nässe draußen blieb.
Ja… leere Straßen, eine frostige Nacht, Feuchtigkeit…
Es fehlte nur noch eins, um alles perfekt zu machen. Mumm schickte
die Sänftenträger nach Hause und kehrte zu einem der Wächter zurück.
»Du bist Obergefreiter Habichglück, nicht wahr?«
»Jawohl, Herr Kommandeur.«
»Welche Schuhgröße hast du?«
Habichglück runzelte verdutzt die Stirn. »Wie bitte, Herr Komman-
deur?«
»Das ist doch eine ganz einfache Frage, Mann!«
»Dreiundvierzig, Herr Kommandeur.«
»Und deine Stiefel stammen von Stöpsler im Neuen Flickschusterweg?
Die billigen?«
»Jawohl, Herr Kommandeur!«
»Ich kann nicht zulassen, daß jemand in Pappstiefeln den Palast be-
wacht«, verkündete Mumm mit gespielter Fröhlichkeit. »Zieh sie aus,
Obergefreiter. Du bekommst meine. Es klebt noch Drachenschmutz
dran, aber sie passen dir bestimmt. Steh da nicht so herum und starr
mich mit offenem Mund an. Gib mir deine Stiefel, Mann. Du kannst
meine behalten.« Mumm zögerte kurz. »Hab jede Menge davon«, fügte er
hinzu.
Mit einer Mischung aus Sorge und Erstaunen beobachtete der Oberge-
freite, wie Mumm die billigen Stiefel anzog und einige Male mit den Fü-
ßen stampfte. Mumms Augen blieben geschlossen. »Ah«, sagte er. »Ich
stehe vor dem Palast, nicht wahr?«
»Äh… ja, Herr Kommandeur. Du hast ihn gerade verlassen, Herr
Kommandeur. Ich meine das große Gebäude hier.«
»Ah.« Mumm strahlte. »Ich hätte in jedem Fal gewußt, wo ich bin –
selbst wenn ich nicht gerade erst aus dem Palast gekommen wäre.«
»Äh… «
»Die Pflastersteine«, erklärte Mumm. »Sie sind hier ungewöhnlich groß
und haben in der Mitte eine kleine Mulde. Hast du das nicht bemerkt?
Deine Füße, Junge! Du mußt lernen, mit deinen Füßen zu denken!«
Der verwirrte Obergefreite beobachtete, wie Mumm im Nebel ver-
schwand und immer wieder glücklich aufstampfte.
Korporal der Wahre Ehrenwerte Graf von Ankh Nobby Nobbs öffnete
die Tür des Wachhauses und taumelte über die Schwelle.
Feldwebel Colon sah von seinem Schreibtisch auf und erschrak. »Ist
al es in Ordnung mit dir, Nobby?« fragte er und eilte der schwankenden
Gestalt entgegen.
»Es ist schrecklich, Fred. Schrecklich!«
»Hier, setz dich. Meine Güte, du bist ja ganz blaß.«
»Man hat mich erhoben, Fred!« stöhnte Nobby.
»Scheußlich! Hast du den Täter erkannt?«
»Nein, in den Adelsstand hat man mich erhoben.« Nobby reichte seinem Kol egen die Schriftrolle, die Drachenkönig von Wappen ihm in die
Hand gedrückt hatte. Mit zitternder Hand zog er einen Zigarettenstum-
mel hinterm Ohr hervor und zündete ihn an. »Ich begreife es einfach
nicht«, jammerte er. »Da gibt man sich al e Mühe, nicht aufzufallen, keine Schwierigkeiten zu verursachen. Und dann passiert so was.«
Colon las langsam, und seine Lippen bewegten sich, wenn er schwieri-
ge Worte wie »der«, »die«, »das« sowie »und« zu entziffern versuchte. »Ist dir eigentlich klar, was hier steht, Nobby? Du bist jetzt eine Art Lord !«
»Der Alte meinte, es müßten noch genauere Nachforschungen ange-
stellt werden, aber die Sache sei schon jetzt klar, wegen des Rings und so.
Was sol ich bloß machen, Fred?«
»Lehn dich zurück und iß von Hermelintellern!«
»Das ist es ja gerade, Fred. Es gibt kein Geld, kein großes Haus, kein
Land. Es gibt überhaupt nichts .«
»Was meinst du mit ›nichts‹?«
»Mit ›nichts‹ meine ich absolut null, Fred. Leere Taschen.«
»Ich dachte immer, die Leute von der oberen Kruste hätten jede Men-
ge Geld.«
»Nun, ich gehöre sozusagen zur Kruste auf der Kruste, Fred. Ich weiß
überhaupt nicht, wie man ein richtiger Lord ist! Ich habe keine Lust,
feine Sachen zu tragen und auf irgendwelchen Bällen zu tanzen und so.«
Feldwebel Colon nahm neben Nobby Platz. »Und du hattest keine
Ahnung von den Beziehungen deiner Familie zu den Piekfeinen?«
»Nun, mein Vetter Vincent wurde einmal wegen Notzucht angeklagt.
Es ging dabei um eine Angestellte der Herzogin von Quirm…«
»Zimmermädchen oder Küchenmagd?«
»Ich glaube, es war die Küchenmagd.«
»Ich fürchte, das zählt nicht. Weiß sonst noch jemand davon?«
»Nun, sie wußte es, und sie sagte es ihrer Ladyschaft…«
»Ich meine deine Erhebung in den Adelsstand.«
»Nur Kommandeur Mumm.«
»Na bitte.«
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