Hohle Köpfe
entschuldige bitte, aber… du und Hauptmann Karotte…«
Angua wartete höflich.
»Seid ihr… äh…«
»Ja«, sagte Angua und gab dem Mitleid nach. »Wir sind äh. Trotzdem wohne ich in Frau Kuchens Pension, weil man in so einer Stadt seinen
eigenen Platz braucht.« Und eine Hauswirtin, die besondere Bedürfnisse
versteht, fügte sie in Gedanken hinzu. Zum Beispiel Türklinken, die auch
für Pfoten geeignet waren, und ein offenes Fenster bei Vol mondnäch-
ten. »Man braucht einen Ort, wo man sich selbst entfalten kann. Außer-
dem riecht’s im Wachhaus nach alten Socken.«
»Ich wohne bei meinem Onkel Armwürger«, sagte Grinsi. »Dort ist es
nicht sehr gemütlich. Sie reden fast dauernd über Bergwerksarbeit.«
»Und das gefällt dir nicht?«
»Ach, es geht ständig ›Ich grabe in der Grube, und ich zeche in der Ze-
che‹ und so«, erwiderte Grinsi in traurigem Singsang. »Anschließend wird
über Gold gesprochen, was viel langweiliger ist, als die meisten Leute
glauben.«
»Ich dachte, Zwerge lieben Gold«, sagte Angua.
»In den meisten Fäl en geht es nur darum, die Tradition zu bewahren.«
»Bist du ganz sicher, daß du zum Volk der Zwerge gehörst? Entschul-
dige. War nur ein Scherz.«
»Bestimmt gibt es interessantere Dinge als Gold. Zum Beispiel Frisu-
ren. Oder Kleidung. Leute.«
»Meine Güte. Meinst du etwa Mädchendinge ?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Grinsi. »Bisher habe ich keine Mädchen-
dinge kennengelernt. Nur Zwergendinge.«
»So ähnlich ist es auch in der Wache«, sagte Angua. »Man kann jedes
Geschlecht haben, vorausgesetzt, man verhält sich wie ein Mann. In der
Stadtwache gibt es keine Männer und Frauen, nur Kumpel und Kol egen.
Die besondere Sprache lernt man schnel . Im großen und ganzen geht es
darum, wieviel Bier man am vergangenen Abend geschlürft hat, wie
scharf die Currygerichte gewesen sind und wo man sich schließlich über-
geben hat. Denk einfach wie ein Macho, dann hast du den Dreh bald
raus. Außerdem mußt du im Wachhaus auf Witze mit… sexuellem Hin-
tergrund gefaßt sein.«
Grinsi errötete.
»Obwohl… in letzter Zeit nur noch sehr selten«, sagte Angua.
»Wieso? Hast du dich beschwert?«
»Nein, es hat aufgehört, nachdem ich mich aktiv daran beteiligt habe«,
erklärte Angua. »Und weißt du was? Die Männer lachten überhaupt
nicht. Nicht einmal, als ich die Worte mit Gesten erläuterte. Ich halte das eigentlich für unfair. Die meisten Handbewegungen erschienen mir recht
harmlos.«
»Es nützt alles nichts, ich muß ausziehen.« Grinsi seufzte. »Ich fühle
mich… fehl am Platz.«
Angua sah auf die neben ihr gehende Zwergin hinab und erkannte die
Symptome. Jeder brauchte einen Freiraum, so wie sie selbst, und
manchmal existierte dieser Platz nur im Kopf. Seltsamerweise mochte sie
Grinsi, vielleicht wegen ihrer Ernsthaftigkeit. Möglicherweise auch des-
halb, weil sie außer Karotte die einzige Person war, die ihr gegenüber
weder Furcht noch Unbehagen zeigte. Weil sie nicht Bescheid wußte. Angua wollte Grinsis Unwissenheit wie ein kostbares Gut bewahren, doch
sie begriff auch, daß die Zwergin einen Wechsel in ihrem Leben nötig
hatte.
»Wir sind nicht weit von der Ulmenstraße entfernt«, sagte sie. »Was
hältst du von einem kurzen Abstecher zu meiner Unterkunft? Ich habe
da einige Sachen, die ich dir leihen könnte…«
Ich brauche sie nicht, dachte Angua. Wenn ich aufbreche, kann ich
ohnehin kaum etwas mitnehmen.
Obergefreiter Abfluß starrte in den Nebel. Auf der Liste der Dinge, die
er besonders gut konnte, kam Starren an zweiter Stelle, direkt nach reg-
los Hocken. Auch Lautlosigkeit gehörte zu seinen besonderen Eigen-
schaften. Er brachte immer dann gute Leistungen, wenn es darum ging,
nichts zu tun. Einfach wie erstarrt dasitzen – das war seine größte Stärke.
Hätte es einen Aufruf zur Weltmeisterschaft im Nichtbewegen gegeben,
wäre Obergefreiter Abfluß nicht einmal am Wettkampfort erschienen.
Das Kinn auf die Hände gestützt, starrte er in den Nebel.
Nur wenige Wolken schwebten am Himmel. Das Licht des Mondes
glänzte ungefiltert herab. In seinem Schein und aus der Höhe von sechs
Stockwerken betrachtet, wirkte der Nebel wie ein kaltes, frostiges Meer.
Hier und da ragte ein Turm daraus hervor. Alle Geräusche waren ge-
dämpft und krochen nicht weit. Mitternacht kam und ging.
Obergefreiter Abfluß starrte und dachte an Tauben.
Er hatte nur wenige Wünsche in seinem
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