Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
während er sich bewegte. Und dabei träumte ich vor mich hin: Hm, wie er wohl ohne dieses Hemd aussähe?
Wer schwatzte, musste in der Pause oder nach Schulschluss hundertmal an die Tafel schreiben: »Ich darf den Unterricht nicht stören.« Oder der Lehrer stellte einen in die Ecke, wo man auch nach dem Unterricht noch so lange stehen bleiben musste, bis er am Pult die Hausarbeiten korrigiert hatte. Ich habe mich manchmal extra schlecht benommen, nur um in der Ecke stehen zu dürfen oder nach dem Unterricht hundertmal an die Tafel zu schreiben: »Ich darf nicht während der Schulstunde mit meinem Nachbarn schwätzen.« Und das alles nur, weil ich in der Nähe dieses Lehrers sein wollte.
Diese Gefühle, die ich für ihn empfand, waren aufregend, elektrisierend und zart zugleich. In meiner Fantasie stellte ich mir vor, mit ihm zusammen zu sein. Weil der Lehrer nicht verheiratet war und auch nicht wie ein Casanova jedem Frauenrock hinterherlief, kam immer wieder das Gerücht auf, er sei vielleicht homosexuell. Für mich ein Lichtblick: Denn wenn mein Lehrer, den ich bewunderte, war wie ich, dann konnte ich doch nicht so schlecht sein.
In Julio Iglesias war ich auch verschossen. Besonders toll fand ich ihn in dem Film La vida sigue igual – Das Leben geht weiter , in dem er sich selbst spielt: Wie ein Autounfall seine Karriere als Fußballer in der Jugendmannschaft von Real Madrid beendet und er mit Mitte zwanzig einen erfolgreichen Neuanfang als Sänger schafft. Der Film kam auch ins Kino von Jatibonico. Die erste Vorstellung begann um dreizehn und die letzte um zweiundzwanzig Uhr. Insgesamt wurde der Film viermal am Tag gezeigt. Ich ging so oft ich konnte ins Kino, bezahlte einmal und sah mir den Film viermal an – von mittags bis abends, alle Vorstellungen. Ich habe gekuckt und geweint und geweint und gekuckt, weil ich so in Julio Iglesias verliebt war und weil mir die Geschichte von dem geplatzten Traum und einem Plan B, der sich zum Guten wendet, so naheging.
Mein Onkel Che, ein Matrose, fuhr zur See und bereiste so die ganze Welt. Von einer Reise nach Frankreich brachte er der Familie Modezeitschriften mit, die ich wieder und wieder anschaute wegen der Fotos von wunderschönen Schauspielern. Ich war ganz hin und weg von Alain Delon, Jean-Paul Belmondo und Terence Hill, dessen blaue Augen und blonde Haare mich faszinierten. Wann immer ich ein Foto meiner Favoriten in einem der Magazine fand, schnitt ich es aus und klebte es in ein Album, das ich unter meiner Matratze versteckte. Abends im Bett schaute ich mir dann die Fotos an, machte die Augen zu und träumte mich in ihre Filme: »Was wäre wenn …« Ich sah mich in meiner Fantasie als Hauptdarsteller neben all diesen wunderbaren Chicos.
Eines Tages entdeckte meine Oma das Album. Ich kam an dem Tag ein bisschen früher von der Schule nach Hause, und als ich in mein Zimmer gehen wollte, sah ich, wie sie am Kopfende meines Bettes stand, das Album in einer Hand hielt und mit der anderen darin herumblätterte. Ich blieb ganz still im Türrahmen stehen. Eine Weile sagte keiner von uns ein Wort. Meine Oma schaute mich lange an und sagte dann ganz leise: » Mi niño , wir verstecken das lieber wieder. Alles ist gut, mein Kind. Du bist gut so, wie du bist.«
Dass Großmutter das sagte, hat mich stark gemacht und mir Halt gegeben. Denn es bedeutete, dass es nicht schlimm war, schwul zu sein. Ich konnte so bleiben, weil es jemanden gab, der mich akzeptierte. Ich war gut so, wie ich war, und nicht krank, wie die Gesellschaft in Kuba es mir einreden wollte.
Viele Kubaner flohen damals illegal in die USA, meist nach Miami, wo sie sich in einem Stadtteil niederließen, der Little Havanna heißt. Viele schafften es bis dorthin, aber viele ertranken auch im Meer. Als ich all diese schrecklichen Geschichten hörte, redete ich mir gut zu: Okay, Jorge, es ist so, wie es ist. Hier in Kuba darfst du dein zweites Ich nicht zeigen und auch kein klassischer Tänzer werden. Also los, überleg dir was anderes. Du willst weg aus Kuba, aber nicht nach Miami schwimmen. Du willst auf ganz legalem Weg nach Europa kommen. Und dafür brauchst du einen Plan B: ein Stipendium für ein Auslandsstudium in einem osteuropäischen Land.
Von diesem Moment an verfolgte ich diesen Traum: Ich wollte nach Europa – für mich ein Synonym für Paradies und Freiheit. Als Student ins Ausland zu gehen bedeutete, diesem Traum einen großen Schritt näher zu kommen. Allerdings stammte mein ganzes
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