Hollisch verliebt
„Aber wirklich nur einen Augenblick. Nicht länger.“
Das bösartige Funkeln in Dravens Augen verriet, was für ein Miststück unter der schönen Fassade steckte. „Na gut, dann komme ich gleich zur Sache. Ich weiß ja nicht, ob der Gestaltwandler Riley dir davon erzählt hat oder vielleicht sogar Victoria selbst, aber vor zwei Wochen habe ich Victoria deinetwegen herausgefordert.“
Er erstarrte. Mit zusammengekniffenen Augen warf er einen kurzen Blick auf den Spiegel, bevor er sich wieder Draven zuwandte. „Sprich weiter.“
Vielleicht war das Mädchen ja dumm und überhörte den warnenden Unterton. Vielleicht? Ha! Mit Sicherheit, denn sie sprach tatsächlich weiter. „Immerhin bist du ein Mensch, und …“
„Ich war ein Mensch“, korrigierte er scharf.
„Das ist mir klar“, stimmte Draven zu. „Mittlerweile.“ Dumm war noch freundlich ausgedrückt. Offenbar hatte sie den Verstand einer Kanalratte. „Aber die Herausforderung wurde schon vor Wochen ausgesprochenund angenommen, als du wie gesagt noch ein Mensch warst. Also greift das Gesetz noch. Victoria muss gegen mich kämpfen, so wie du gegen Sorin gekämpft hast. So läuft das bei uns. So ist es immer gelaufen.“
Wieder wurde getuschelt, wurden Theorien ausgetauscht. Wie war Aden zum Vampir geworden? Konnte man jetzt auch andere Menschen verwandeln?
Aden war bleich geworden. „Niemand wird versuchen, Menschen zu verwandeln“, rief er allen zu.
Nicht einmal Victoria wusste, wie und warum Aden und sie überlebt hatten. Schließlich war seit dem späten 15. Jahrhundert keine Verwandlung mehr gelungen. Bloody Mary – die ursprüngliche Bloody Mary, nicht die frühere Königin von England – war heute die Anführerin der schottischen Vampirsippe, und auch sie hatte sich etwa zu jener Zeit verwandelt.
Im Laufe der Jahre hatte Victoria Gerüchte über eine leidenschaftliche Affäre zwischen Vlad und Mary gehört, die lange zurücklag. Angeblich hatte Vlad es vorgezogen, Mary zum Vampir zu machen, anstelle seiner Ehefrau. Und als er Mary wegen einer anderen Frau verlassen hatte, war sie mit ihren Anhängern weggegangen und hatte Rache geschworen.
Sie schlugen Schlachten, es gab Tote, aber keine Seite steckte zurück. Vampire aus beiden Clans bekamen die ständigen Feindseligkeiten satt. Um in Frieden zu leben, verließen sie ihr Heim und sagten sich von ihrem jeweiligen Anführer los. So entstanden auf der ganzen Welt viele weitere Sippen, jede mit einem König oder einer Königin. Manche wurden von einem Paar regiert, wenn der Mächtigere der beiden bereit war zu teilen.
Sorin hatte behauptet, er hätte Vlads Verbündete getötet. Da keiner von ihnen aufgetaucht war, als Aden ins Signalhorn geblasen hatte, war Victoria geneigt, ihm zu glauben.
Ihr kam ein beunruhigender Gedanke. Wenn sich das herumsprach – he, Leute, der neue Vampirkönig hat keine Unterstützung –, würde Aden noch mehr zur Zielscheibe werden.
„Als oberster Berater des Königs habe ich dazu etwas zu sagen“, mischte sich Sorin ein.
Verstimmt sah Aden ihn an. Er runzelte die Stirn. Victoria verbarg ihr Lächeln hinter vorgehaltener Hand. Oberster Berater?
„Mein Rat lautet, den Kampf noch für heute anzusetzen. Nachdemich gerade Schläge einstecken musste, freue ich mich darauf, zu sehen, wie jemand anderes Prügel bezieht. Nämlich du, kleines Mädchen. Ich habe gesehen, wie meine Schwester kämpft …“
Wirklich?
„… und sie ist verdammt gut.“
Draven polierte ihre Fingernägel an ihrer Kleidung. „Der Zeitpunkt passt mir. Fehlt nur noch deine Zustimmung, Majestät.“
Victoria griff sich an die Kehle, die jetzt so verwundbar war. Ihr wurde kalt bis ins Mark.
„Wieso zitterst du denn? Die machst du doch fertig.“ Seth gab ihr einen Klaps auf den Hintern. „Sie ist ein echtes Biest, aber du hast eine dunkle Seite. Das sehe ich dir an.“
„Ähm. Danke.“ Früher hatte sie eine dunkle Seite gehabt, jetzt war sie nur noch ein Mensch. Draven würde sie in Stücke reißen. Sie wäre gerne hinausgelaufen und hätte dem Irrsinn ein Ende bereitet, aber dafür war es zu spät. Es stimmte, sie hatte in den Kampf eingewilligt. Wenn sie jetzt kniff, gestand sie ihre Niederlage ein.
Bald würde Aden herausfinden, dass der Verlierer einer Herausforderung alles an den Gewinner abtreten musste. Seinen Besitz … sein Leben. Deshalb wurden Herausforderungen so selten ausgesprochen. Sorin war jetzt Adens Eigentum. Für den Rest seines sehr langen
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