Hollys Weihnachtszauber
begrüßte mich, als hätte er mich nicht nur wenige Minuten, sondern einen Monat lang nicht gesehen, und Jude betrachtete ihn missbilligend. »Dieses Tier muss während meiner Abwesenheit senil geworden sein, ich glaube, er hat vergessen, zu wem er eigentlich gehört.«
»Da fällt mir ein, ich muss sein Geschenk noch einpacken, wenn er nicht hinschaut.«
»Du hast ein Geschenk für meinen Hund?«
»Nur einen großen Hundekauknochen aus Oriel Comforts Geschäft. Sie hat wirklich so gut wie alles vorrätig, nicht wahr?«
»So vieles, dass man fast meinen könnte, ihr Geschäft müsste eines Tages wegen Überfüllung explosionsartig aus allen Nähten platzen«, bestätigte er. »Du hast wohl nicht zufällig etwas Geschenkpapier übrig? Es ist nur so, dass ich auf dem Heimweg, als ich am Flughafen beim Umsteigen Zeit totzuschlagen hatte, noch ein paar Sachen besorgt habe.«
»Ja, Mrs Comfort hatte nur große Rollen von dem Zeug, sodass reichlich übrig ist, auch wenn Michael schon etwas abbekommen hat«, antwortete ich und holte das Papier aus dem Küchenschrank.
Er murmelte irgendetwas, das verdächtig klang wie: »Da hätt ich drauf wetten können!«, dann ging er hinaus, blieb jedoch auf der Schwelle stehen und fragte: »Du gehst jetzt auch ins Bett, nicht wahr?«
»Ja, ich habe nur vorher hier unten noch ein oder zwei letzte Dinge zu erledigen.«
Er sah auf die Uhr. »Fast hätte ich’s vergessen – es ist schon fast Mitternacht, und ob es nun schneit oder nicht, Richard wird in der Kirche sein. Komm mit!«
Er packte meine Hand, zog mich durch das schweigende Haus zur Eingangstür, die er entriegelte und aufriss. Wirbelnde Schneeflocken berührten mein Gesicht, und ganz schwach trug der Wind den fernen, zauberhaften Klang der Kirchenglocken vom Tal zu uns herauf.
»Fröhliche Weihnachten!«, sagte Jude, als das Läuten verstummte. Über unseren Köpfen drehte sich das Büschel Mistelzweige im Wind, während er reglos dastand und auf mein Gesicht hinabsah. Und dann, wie unter einem Zwang, dem er eigentlich lieber widerstanden hätte, beugte er den Kopf und streifte mit seinen Lippen kurz die meinen.
Ich erschauderte, doch die Überraschung verschlug mir die Sprache, und ich stand noch immer mit vom Schnee umwirbeltem, zu ihm emporgerichtetem Gesicht im offenen Eingang, als Jude ebenso unvermittelt auf dem Absatz kehrtmachte und ohne ein weiteres Wort davonging.
Männer!
Ich räumte Wurst- und Schinkenbrötchen, Füllung und Brotsoße von der Gefriertruhe in den Kühlschrank, dann ging ich nach oben in mein Zimmer.
Ich hatte alle Sachen, die in Jess’ Weihnachtsstrumpf sollten, in meinem Kleiderschrank versteckt, und nachdem ich das schlichte lange weiße Baumwoll-Nachthemd mit passendem Morgenmantel angezogen hatte, das Oma nach dem altmodischen Schnitt, den sie selbst bevorzugte, für mich gemacht hatte, legte ich alles neben einer großen Socke auf meinem Bett aus. Es war eine sehr große Socke.
Ich steckte eine Clementine in die Zehenspitze, was dem Ganzen eine zufriedenstellende Form gab, hatte mich jedoch gegen Nüsse entschieden. Dann kam alles andere hinein, was ich gekauft hatte, schön nach unten gestopft, und der gelbäugige Wolf schaute mit dem Kopf oben heraus.
Anschließend saß ich da und las in Omas Tagebuch, bis ich annahm, dass Jude zu Bett gegangen war – ach, und arme Oma, meine Vermutungen waren ganz richtig gewesen … ihre große Romanze war total in die Hose gegangen.
Ich befand mich in jenem Stadium, in dem man todmüde und hellwach zugleich ist, deswegen las ich länger, als ich vorgehabt hatte. Doch als ich endlich den Strumpf zur Hand nahm und auf Zehenspitzen leise (bis auf gelegentliches Rascheln im Strumpf) die Galerie entlang und durch den Westflügelkorridor in Richtung Kinderzimmer schlich, war es immerhin still im Haus, und alle schliefen fest …
So dachte ich zumindest bis zu dem Moment, als wie in einer Geisterbahn lautlos Judes Tür aufschwang, er mich packte, in sein Zimmer zerrte und die Tür hinter uns schloss. Ich stieß einen halb erstickten Schrei aus und schubste ihn weg, wobei meine Hände die bloße Haut eines muskulösen Brustkorbs berührten … eines außerordentlich muskulösen Brustkorbs.
»Pst!«, sagte er und knipste das Licht an, was mich noch mehr erschreckte, da er hoch über mir aufragte und nichts als locker gebundene Pyjamahosen trug. Sein dunkles Haar stand in alle Richtungen und meines womöglich genauso. Ich ließ meine Hände
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