Hollys Weihnachtszauber
weiteres Glas Wein getrunken hatte, lebte sie wieder etwas auf, leider, und richtete ihren Charme mit aller Kraft auf Michael. Er wurde langsam sichtlich nervös.
Sie sagte, es täte ihr leid, dass sie sich zuvor so aufgeregt hätte, wisse jedoch, dass er für eine Künstlerseele Verständnis habe. Dann erzählte sie ihm noch einmal ganz genau alles über die Gesichtselixier-Werbung, und wie ihre Agentin ihr eine wichtige Rolle in einem neuen Film verschaffen wollte und und und … obwohl Jess laut aufseufzte und sagte: »Das wissen wir alles schon, Nesquick!«
Doch ihre leicht gekünstelte Munterkeit ließ ein wenig nach, als wir wieder ins Wohnzimmer gingen und sie den Berg von Geschenken unter dem Christbaum erspähte, denn bei dem Anblick fiel ihr wieder ein, dass sie ihre Birkin-Bag nicht bekommen würde.
Jess, die liebevoll die Päckchen mit ihrem Namen darauf betastete, sagte: »Da sind auch Geschenke für dich, mindestens drei, Nesquick.«
»Ich verstehe nicht, warum du mich dauernd bei diesem albernen Namen nennst«, sagte sie, sah indessen ein wenig beschwichtigt aus, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie über Michaels sinnreiches Geschenk aus Oriel Comforts Beständen oder das Glas mit Badezusatz, den ich in der Küche aus Meersalz, Olivenöl und Lavendelessenz eilig angerührt hatte, vor Freude außer sich geriet.
Was das dritte war, wusste ich nicht, doch der eher schludrigen Verpackung nach zu schließen, hatte Jess es wohl dort hingelegt. Ich hoffte, es war nicht irgendetwas Scheußliches.
Jude bestand darauf, den Kaffee zu machen und ins Wohnzimmer hinüberzubringen, während ich mich ausruhte, was unerwartet rücksichtsvoll von ihm war, wenngleich die Geste dadurch verdorben wurde, dass er auch die Petit Fours auftischte, die ich für Boxing Day gedacht hatte. Jetzt müsste ich noch mehr davon machen.
Der Kaffee war gut. Jude war in der Küche also nicht ganz untalentiert. Und hatte offenbar eine Vorliebe für Marzipan …
»Hast du zufällig gemahlene Mandeln im Torhaus, falls sie mir ausgehen?«, fragte ich Tilda.
»Oh ja, wir haben bestimmt welche – Edwina verwendet sie häufig. Geh nur hinunter und stöbere in der Küche und bring alles mit, was du brauchst«, gestattete sie mir gnädig.
Die Männer gingen in die Bibliothek, um Snooker zu spielen, und Coco schwebte ziellos hinter ihnen her.
»Glaubst du, sie ist magersüchtig?«, fragte Becca. Sie grübelte über dem Puzzle, das nicht sehr weit gediehen war. Ich beugte mich über ihre Schulter und schob einige Randstücke von einer Seite zur anderen: Aus meiner Sicht war ziemlich eindeutig, wo sie hingehörten.
»Mir kommt es so vor, als ob sie nach jeder Mahlzeit ewig lange verschwindet«, meinte Tilda. »Dabei isst sie sowieso nicht viel …«
»Sie futtert jede Menge Abführmittel«, sagte Jess unerwartet. »Das ist doch komisch, findet ihr nicht?«
»Woher weißt du das?«, fragte ich überrascht.
»Ich hab gesehen, wie sie etwas gegessen hat, was wie eine Handvoll Süßigkeiten ausgesehen hat, als sie dachte, sie wäre allein. Also hab ich mal in ihre Handtasche geschaut, und die ist vollgestopft mit lauter Fruity-Go-Päckchen. Ihre Nachttischschublade auch, und sie rennt ständig aufs Klo.«
»Jess, Liebling, du solltest wirklich nicht in anderer Leute Zimmer herumkramen«, mahnte Tilda milde. »Aber kein Wunder, dass sie Ewigkeiten im Badezimmer verbringt!«
»Daran liegt es dann wohl, dass sie dünn bleibt wie ein Bandwurm«, bestätigte Becca. Sie und Jess halfen das Kaffeegeschirr hinauszutragen und gingen dann mit Tilda Monopoly spielen, während ich die Spülmaschine bestückte, die Küche aufräumte und Merlin fütterte.
Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, waren alle anderen zurückgekehrt, und Guy, Michael sowie eine gelangweilte Coco hatten sich um das Puzzle gruppiert. Jude, Tilda und Jess beendeten eine Runde Monopoly, bei der Tilda als wahre Immobilienmagnatin haushoch gewann.
Noel hatte offenbar auf mich gewartet. »Ach, da bist du ja, meine Liebe – du kommst genau rechtzeitig für eine Martland-Familientradition.«Er nahm eine ledergebundene Ausgabe von Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte zur Hand und begann laut vorzulesen, und zwar wirklich schön.
Selbst Coco hörte mit ihrem ruhelosen Gezappel auf und richtete ihre Augen auf ihn, auch wenn sie sich, als er zu dem Teil mit den Geistern kam, immer wieder nervös umschaute, als könnte womöglich einer direkt hinter ihr stehen.
Am
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