Hollys Weihnachtszauber
Schluss applaudierten wir alle, und Noel erhob sich für eine bescheidene Verbeugung. »Vielen Dank! Einige Szenen aus Shakespeares ›Zwölfte Nacht oder Was ihr wollt‹ tragen wir auch immer vor – das allerdings am Silvesterabend.«
Coco wurde lebendig und griff diesen Gedanken begierig auf. »›Was ihr wollt‹? Das kenne ich, wir mussten es damals in der Schule aufführen. Es gibt zahlreiche langweilige Passagen, die angeblich lustig sein sollen, aber auch ziemlich viele Liebesszenen mit Verwechslungen.«
»Ich habe früher schon mal in Stratford den Sebastian gespielt«, gestand Michael.
»Dann sollten wir die Tradition vielleicht wieder aufleben lassen, und du könntest diese Rolle noch mal übernehmen?«, schlug Noel vor.
»Wenn du an Silvester noch hier bist«, meinte Guy.
»Falls die Straßen auftauen und es so aussieht, als ob wir hier wegkommen, könnten wir es ja auch früher aufführen, nicht wahr?«, meinte Coco schwärmerisch. »Und warum spielen wir die Rollen nicht, anstatt sie nur zu lesen?«
»Das könnten wir durchaus tun, wenn du möchtest«, antwortete Noel. »In der Bibliothek haben wir mehrere Textausdrucke der Szenen, die wir immer verwendet haben.«
»Michael, du kannst der Sebastian sein, und ich spiele die schöne Olivia«, sagte Coco und setzte sich in Pose. »Guy, du kannst Orsino sein, und ich schätze, Holly spielt am besten die Viola, die ja Sebastians Zwilling ist, denn sie kann auch wie ein Mann aussehen.«
»Vielen Dank«, sagte ich. »Aber das funktioniert nicht wirklich. Sebastian und Viola sollen einander doch zum Verwechseln ähnlich sein.«
»Dann muss das Publikum eben seine Fantasie spielen lassen«, schnappte sie, und ich merkte schon, dass sie darauf aus war, ihre Liebesszenen mit Michael aufzuführen. Soweit ich mich an das Stück erinnern konnte, müsste ich mich dann allerdings in Orsino verlieben.
»Ich hasse Schauspielern«, sagte Guy. »Ich trete ja nicht einmal in den Revels auf, von daher wird Jude das übernehmen müssen. Noel kann die Szenen wie üblich als Moderator verbinden und soufflieren, und ich gebe zusammen mit Tilda, Jess und Becca euer bewunderndes Publikum.«
»Ich bin auch kein großer Schauspieler«, meinte Jude.
»Ich ebenso wenig«, warf ich hastig ein.
»Nun ja, du und Holly könnt eure Rollen ja auch einfach nur lesen, okay?«, erwiderte Coco ungeduldig.
Sie war die Einzige, die wirklich scharf darauf war, etwas aufzuführen, vermutlich um Michael gegenüber ihre Fähigkeiten ins rechte Licht zu setzen und vielleicht auch, um ihm ein bisschen näherzukommen. Jedenfalls protestierte niemand sonderlich, und Noel erklärte, er würde am nächsten Tag die Texthefte heraussuchen.
Ich nehme an, wir waren alle viel zu erleichtert, dass Coco etwas gefunden hatte, womit sie sich beschäftigen könnte, um Einwände zu erheben, und sie wurde ganz lebhaft, als sie sich mit Michael über das Proben unterhielt.
Allerdings, dachte ich, wären wir bis Silvester doch längst alle weg, und wenn sie abreisen könnte, würde sie das Theaterspiel sicher fallen lassen!
Tilda beschloss, zu Bett zu gehen, und beorderte auch Jess nach oben, die aber nicht mitkommen wollte.
»Ich bin viel zu aufgeregt, ich kann sicher überhaupt nicht schlafen.«
»Dann kommt auch der Weihnachtsmann nicht«, erklärte ihr Tilda.
»Ach, Omi! Die Geschenke sind alle hier, und ich weiß, dass der Strumpf letztes Jahr von Mummy stammte, weil er so scheußlich war. Dieses Mal hänge ich erst gar keinen auf.« Dann zog sie allerdings trotzdem in Tildas Gefolge ab.
»Es ist schon spät, und es war ein schöner Abend«, sagte Becca, und Noel stimmte ihr zu. »Ja, ich glaube, ich gehe jetzt am besten auch ins Bett.«
Sogar Coco schien bereit zu sein, nach oben zu gehen – all die Gefühlsausbrüche und der viele Alkohol mussten sie erschöpft haben, doch bemerkte ich, dass sie lange genug trödelte, um einen Blick auf ihre Geschenke unter dem Christbaum zu werfen, was ich fast ein bisschen liebenswert fand: Vierundzwanzigjährige benimmt sich wie fünf.
Die Gesellschaft brach auf, einer nach dem anderen sagte Gute Nacht und verschwand, bis auf Jude, der Merlin ein letztes Mal hinausließ und dann nach den Pferden sehen ging. Ich legte Feuerholz nach und sammelte zwei stehen gelassene Sherrygläser ein; als er zurückkam, war ich in der Küche und spülte sie gerade ab. Seine dunklen Haare waren weiß gesprenkelt; es schneite also heftig und in dicken Flocken.
Merlin
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