Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Richtig und
wahrhaft lieb. Und außerdem hast du verdammt zugenommen, seit du Kinder
bekommen hast.«
Sie zog am grüngrauen Leder, das um ihren Bauch schlotterte, und zog den
Reißverschluß hoch.
»Schau mich mal an. Ein mehrfarbiges Monster! Warum kaufst du dir keine
einfarbigen Sachen?«
Häkon setzte sich auf einen alten Sägebock. Die Garage zeigte noch Spuren des
Brandes vor fast sieben Jahren, obwohl sie fünfzig Meter von der Hütte
entfernt gestanden hatte. Sie war in derselben Farbe wie die neue gestrichen
worden, roch innen aber nach Benzin und Öl, muffig und feucht. Irgendwer
hatte vor vielen Jahren versucht, ein System zum Lagern von Gartengeräten,
Werkzeug und Fahrrädern zu entwickeln. Jetzt waren die Nägel in der Wand
krumm, die Silhouetten, die auf die Platten aufgemalt worden waren, um
dafür zu sorgen, daß alles an der richtigen Stelle aufgehängt wurde, waren fast
nicht mehr zu sehen. Vor der Querwand stand eine alte Hollywoodschaukel,
mit schiefen Beinen und Rissen im Stoff.
»Ich mach das nur, um zu beeindrucken«, murmelte er. »Nur um zu
beeindrucken.«
171
Hanne stutzte. Dann setzte sie sich neben ihn auf den Sägebock und nahm den
Helm auf den Schoß.
»Wie meinst du das?« fragte sie und strich sich die Haare aus der Stirn.
»Ich wollte einfach Eindruck schinden. Deshalb hab ich den Führerschein
gemacht. Und die verdammte Mühle gekauft.«
Er versetzte dem Motorrad einen Tritt und verstummte. »Ich könnte fast
lachen«, sagte Hanne. »Bestimmt.« »Ich lache nicht.«
»Lach du nur. Das geschieht mir recht.«
Ihr Lachen hallte zwischen den Wänden wider, und Häkon rieb sich das
Gesicht.
»Ich hab eine Scheißangst, wenn ich fahre«, sagte er verbissen. »Du hättest
mich mal auf dem Weg hierher sehen sollen. Ich hab von Oslo vier Stunden
gebraucht. Hab die Schuld auf den Verkehr geschoben. Aber in Wirklichkeit
hab ich in jeder zweiten Raststätte gesessen und versucht, Mut zum
Weiterfahren zu sammeln. Und ich weiß nicht, wie ich aus dieser Sache wieder
rauskommen soll.«
Er stand auf. Hans Wilhelm war jetzt wieder da und nuckelte an einem
Trinkhalm in einer Colaflasche.
»Willst du probieren?« nuschelte der Junge.
»Ja. Ich glaube wirklich, ich dreh eine Runde. Die erste in diesem Jahr.«
»Darf ich mitfahren?«
»Tut mir leid. Da mußt du noch zwei oder drei Jahre warten.«
Hanne schnürte ihre Turnschuhe wieder zu. Dann setzte sie sich den Helm auf
und hob das Visier, ehe sie den Zündschlüssel umdrehte.
»Ich bleibe nicht lange weg. Eine Stunde oder so. Wann gibt's Essen?«
172
»Spät«, sagte Häkon und klopfte auf den Gepäckträger. »Wir warten, bis die
Kinder im Bett sind. Also laß dir Zeit.«
Als er sah, wie sie aus der Garage fuhr und im losen Kies des Hofplatzes die
Maschine wendete, wußte er, daß er seine neue Yamaha Diversion niemals
beherrschen würde.
»Ich wollte doch mitfahren«, quengelte Hans Wilhelm. »Ich wollte
mitfahren.«
»Komm, wir spielen Nintendo«, tröstete ihn sein Vater.
Aus der Ferne konnten sie beide das verhallende Dröhnen eines kräftigen
Motorrades hören. Es wurde jetzt kühler. Die Schwalben flogen hoch über den
Baumwipfeln, und es lag Regen in der Luft.
Besser, er machte die Garagentür zu.
9
Ole Monrad Karisen öffnete die Tür einen Spaltbreit, nahm die
Sicherheitskette jedoch nicht ab.
Da hatte er in Ruhe und Frieden hier gesessen und die Montagsnummer von
0stlands-Posten gelesen, der einzigen Zeitung, die er las. Diese
Hauptstadtzeitungen schrieben ja doch nur über Mord und Hurerei. In
0stlands-Posten, die er gleich nach seiner Hochzeit abonniert hatte, nachdem er einsehen mußte, daß Klara niemals nach Larvik ziehen würde, konnte er die
Ereignisse in seiner Heimat verfolgen. Er war zwar noch ein Knabe gewesen,
als er vor dem Krieg angeheuert und seine Eltern in dem kleinen Haus in Tor-
strand verlassen hatte, in der Reipmakergate, beim Framstadion, aber er hatte
immer unter Heimweh gelitten. Immer. Nach Klaras Tod hatte er mit dem
Gedanken an einen Umzug in den Süden gespielt. Seine Schwester hatte ihm
ange
172
boten, zu ihr zu ziehen. Sie war ebenfalls verwitwet und sehnte sich nach
Gesellschaft. Monatelang hatte sie ihm zugesetzt. Noch immer kam es vor, daß
sie fragte; in ihren monatlich eintreffenden Briefen und den sporadischen
Telefongesprächen. Hausmeister Karlsens Schwager war Ingenieur bei der
Gemeinde gewesen, und die Schwester hauste jetzt
Weitere Kostenlose Bücher